5. Türchen – Liebe linke Cis-Männer

[English version]

Heute schicken wir einen längeren Text:

Liebe linke Cis-Männer,

Ihr habt es manchmal wirklich nicht leicht. Da wisst ihr schon, was Wörter wie Mansplaining bedeuten, und trotzdem wird sexistisches Verhalten bei euch angesprochen.

Ich kann verstehen, dass das wehtut. Immer wieder hinterfragt ihr und hinterfragt euer Umfeld euer Verständnis von Männlichkeit, euer Verhalten, euren Umgang mit euren Mitmenschen. Feministische Leitbilder sind Teil eurer Identität und eurer Gruppenzugehörigkeit? Ihr habt doch verstanden, wie sich ein Macker verhält, wie ungerecht er mit FLINTA*s umgeht, wie unreflektiert er seine Privilegien benutzt – dieses Verhalten lehnt ihr ab, so wollt ihr nicht sein. Bedeutet das aber, dass ihr es wirklich nicht (zumindest in Teilen) seid?

Dann kommt es gerne zu Äußerungen, die vielen FLINTA*s bekannt vorkommen dürften: Ihr sagt Dinge, wie „Das war doch nur eine einzelne Situation, es ist nicht alles strukturell“. Ihr rollt mit den Augen bei sexistischem Verhalten anderer Männer. Was ihr nicht seht, ist dass solche Äußerungen dazu dienen, Situationen zu individualisieren, um sie überhaupt nicht erst durch die ach so schmerzende Sexismus-Brille zu sehen. Ja, es ist nicht alles strukturell, aber so oft, wie dieser Satz fällt, könnte mensch denken, es gäbe diese sexistischen Strukturen überhaupt nicht.

Eine weitere beliebte Aussage, die gerne in Anschluss daran kommt, ist „In der linken Szene werden die Wörter „toxische Männlichkeit“, „Sexismus“ und „Mackertum“ einfach total inflationär und viel zu leichtfertig benutzt“. Natürlich macht mensch es sich mit solchen Aussagen einfach. Euer Verhalten war mit Sicherheit nicht sexistisch, die anderen sehen einfach in allem Sexismus und ihr seid eigentlich die Opfer einer übermotivierten Bande, die einfach allen gerne diskriminierendes Verhalten unterstellt – klar. Trotzdem erleben wir täglich dominantes Redeverhalten bis hin zu sexualisierter Gewalt in allen Gruppen.

Was ihr nicht seht, ist, wie lange dafür gekämpft wurde, dass überhaupt (hoffentlich) jeder Mensch inzwischen zumindest in Ansätzen weiß, was diese Begriffe bedeuten; wie viel Kraft es kostet, überhaupt gehört zu werden, wenn diese Worte benutzt werden – und dass Menschen, die sich in der linken Szene vermehrt diesbezüglich äußern, dies auch vor dem Hintergrund tun, dass sie auf den antisexistischen Anspruch vertrauen, den die linke Szene sich auf die Fahne schreibt. Aus Angst davor, dass es vielleicht doch zutreffen könnte, unterstellt ihr damit den Menschen, die sich äußern, immer wieder Unglaubwürdigkeit. Dabei müssen genau diese Kämpfe, die dazu geführt haben, dass Männer jetzt immerhin eingestehen, dass es ein Problem gibt, logischerweise weitergeführt werden, um auch rassistische und ableistische Strukturen im Patriarchat zu entlarven und nicht weiße cis Frauen zu Unterdrückenden zu machen.

Gekrönt wird das ganze gerne noch von einem „Irgendwann ist auch mal gut – wir sind ja hier, um für Klimagerechtigkeit/ soziale Gerechtigkeit etc. einzutreten und nicht nur für Feminismus“ – einem Satz, der doch unterschwellig mittransportiert, dass Ungerechtigkeit und Diskriminierung ja irgendwann auch nerven, nicht wichtig genug sind, um so lange darüber zu sprechen, bis es alle verstanden haben und ihr ja eigentlich schon genug gemacht habt – es ist natürlich einfach die Grenze zu ziehen und zu sagen: „Ich hab mich damit ja schon mal beschäftigt, zurück zu den wichtigen Themen“.

Aber versetzt euch doch bitte mal in die Lage der FLINTA*s, die mit euch diesen Raum teilen. Den Menschen, denen ihr auf der einen Seite erzählt, wie kritisch männlich ihr euch reflektiert, dass ihr dem Konsens zustimmt während ihr pro-queere und FLINTA*-Sprüche mitruft – nur um ihnen dann, wenn sie dann von euch genau diese Reflektion eures Handelns einfordern, Sätze wie die oben genannten entgegenwerft.

Ist der weitere Kampf also übertrieben? Reicht es nicht so langsam? Jetzt auch noch über Rassismus reden? Oder Ableismus? Da wo die harte Realität im Patriarchat wirklich anfängt, könnt ihr euch schnell wieder rausziehen.

Wenn auf so ein Verhalten aufmerksam gemacht wird, geht es nicht darum, euch als Sexisten zu brandmarken und euch in die Macker-Ecke zu stellen, damit ihr euch schämt. Es geht auch nicht darum, euch einfach immer wieder zu kritisieren. Wir sind alle in dieser Gesellschaft großgeworden und wurden dementsprechend sozialisiert. Wir alle haben sexistische Sichtweisen erlernt, während uns toxische Männlichkeit vorgelebt wurde. Daran sind wir alle nicht Schuld. Aber dennoch tragen wir alle die Verantwortung für unser Handeln und dafür, dass unsere Gesellschaft nicht so bleibt. Ihr seid keine per se schlechten Menschen, nur weil ihr euch unbewusst sexistisch verhaltet. Ihr wollt doch auch gar keine Macker sein – Das ist zumindest das, was ihr behauptet. Diesem Anspruch könnt ihr nur gerecht werden, wenn ihr nicht alles an Vorwürfen von euch weist, um ja keinen Eintrag im Sexismus-Führungszeugnis zu haben, sondern indem ihr zuhört. Hört zu, warum genau euer Verhalten so gelesen wurde und fragt nach, um es wirklich zu verstehen und zu begreifen, wie ihr es ändern könnt. Diese Situationen sind, auch wenn sie schmerzhaft sein mögen, die Möglichkeit für uns alle zu lernen. Für euch, damit ihr für das einstehen könnt, was ihr sagt und für FLINTA*Personen, die erleben, dass ihnen zugehört wird und ihre Stimme Gewicht hat.

Dieser Text wurde von einem weißen, privilegierten, ableisierten, queeren FLINTA*-Mensch geschrieben.

❓ Fragen zur Reflexion

  • Welche Emotionen löst dieser Text in dir aus?
  • Hast du selbst schonmal Sätze gesagt, die in diesem Text kritisiert werden?
  • Hast du selbst schonmal Kritik bekommen, wie sie in diesem Text beschrieben wurde? Hast du die Kritik angenommen? Wie hast du auf die Kritik reagiert? Hat die Kritik in dir Wut auf die kritisierende Person ausgelöst?
  • Findest du, manche Formulierungen sind “unfair”, “zu hart” oder “übertrieben”? Glaubst du, die Formulierungen sind extremer als die Erfahrungen und die Lebensrealität vieler Flinta*s?
  • Denkst du, Betroffene müssten ihre Erfahrungen “diplomatischer” oder “achtsamer” formulieren, damit du oder andere cis-Männer eure Position und euer Verhalten reflektiert?
  • Welche Arten von sexistischem Verhalten und Abwehrreaktionen durch cis-Männer hast du bereits in linken Kreisen beobachtet?

Begriffsklärungen:

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