Antwort 1
Auch wenn mich natürlich vieles an dem Inhalt des Textes frustriert, war für mich vor allem der lange und zähe Prozess zur Entstehung dieses Textes frustrierend. Er hat mir mal wieder gezeigt, wie lost viele Typen sind, wenn es darum geht, sich mit der eigenen Misogynie auseinanderzusetzen und aufzuschreiben, wo sie in diesem Prozess gerade stehen. Das heißt nicht, dass ich finde, dass Typen sich in ewiger Selbstreflexion um sich selbst drehen sollten. Es ist wichtig, feministische Arbeit und Kämpfe auch aus cis männlicher Perspektive zu unterstützen. Dennoch finde ich es auch wichtig, sich mit den Zügen des eigenen Sexismus nicht bloß oberflächlich, theoretisch und auf einer abstrakten Ebene auseinanderzusetzen.
Was mich in dem Prozess auch noch richtig frustriert hat, war zu merken, wie wenig Empörung, Frust, Wut und Trauer der Autor selbst über die eigene Misogynie hat. Vieles von der einprogrammierten Misogynie scheint beim Lesen des Textes und vor allem in dem Prozess um den Text als „irgendwie schlecht“, „sollte nicht so sein“ und „will ich ja eigentlich auch irgendwie nicht haben“. Was ich aber in Gesprächen selten rausgehört habe, war richtiger Frust und Ärger, richtiges Entsetzen über den ganzen Scheiß, den man da in sich trägt. Und das wäre doch eigentlich das allererste, was man fühlen sollte, wenn man Teile der eigenen Misogynie mal Schwarz auf Weiß vor sich stehen hat, oder? (ODER???)
Ich finde es weniger erschreckend, dass die Leute (und insbesondere cis-het Männer), mit denen ich feministische Arbeit mache, auch nicht frei von Sexismus und Patriarchat in ihren Köpfen sind. Nach unzähligen zähen und gescheiterten Täterprozessen in politischen (feministischen) Gruppen verwundert mich sowas leider nicht mehr so richtig. Was ich aber einfach erschreckend und ernüchternd finde, ist, wenn genau diese Sachen einen nicht entsetzt, wütend und traurig zurücklassen und dazu auch kein Verlangen auslösen, diese Misogynie unbedingt loswerden zu wollen. Und wahrscheinlich ist genau das am Ende das Problem.
Antwort 2
Im Text aus cis hetero männlicher Perspektive fehlt mir die Reflexion über Verantwortung und den Umgang mit Fehlern. Denn aus Fehlern kann man am besten lernen und daran wachsen – seien es eigene oder von Personen aus dem Umfeld.
Ich habe schon so oft beobachtet, dass keine Verantwortung für das eigene Verhalten übernommen wird. Stattdessen habe ich oft die Erfahrung gemacht, dass mir nicht zugehört wurde oder Manipulationsversuche stattfanden, nachdem ich patriarchale Missstände angesprochen hatte. Dabei sind Perspektiven anderer Menschen super wichtig, um sich bewusst zu machen, vor welchem eigenen Fehlverhalten man zu gerne die Augen verschließt, weil es unangenehm ist und weh tun kann. FLINTA* Personen nehmen diese notwendige Arbeit meiner Erfahrung nach selbstverständlicher auf sich. Ich sehe keinen Grund, für cis hetero Dudes – auch den Autor der Selbstreflexion – eine Ausnahme zu machen.
Jede Person hat diese Stellen, wo nur ungern hingeschaut wird. Das gehört für mich zur Menschlichkeit dazu. Genauso wie die Ambivalenz und Unperfektheit, die in seinem Text deutlich wird. Eine Person hat mir gegenüber mal gesagt „eigentlich ist jeder Mensch eine arme Wurst“. Daran musste ich am Ende des Selbstreflexions-Texts ziemlich stark denken.
Ich kenne auch Zustände von mir, mal nicht die Verantwortung für mein Verhalten übernehmen zu können. Umso wichtiger finde ich es, dies nachzuholen, sobald es wieder möglich ist. Es wäre natürlich besser, wenn dies selbstständig geschieht. Doch nur darauf zu hoffen, reicht nicht aus. Solange sollten wir einander zur Verantwortung ziehen, statt sie für andere zu übernehmen und damit die Beziehungsfähigkeit von jedem einzelnen fördern, statt uns selbst zu überfordern.
Wir brauchen ein gegenseitiges Miteinander. Wir sollten einander zuhören, auf angemessene Weise Mitgefühl füreinander zeigen, aber nicht mit dem Selbstmitleid der anderen Person versinken. Natürlich in einem Rahmen, in dem wir nicht als Marionette für das Ego einer anderen Person dienen und dabei unsere eigenen Bedürfnisse ignorieren.
Antwort 3
Während der Text von letzter Woche entstanden ist, musste ich immer wieder meine Erwartungen nach unten anpassen. Zu Beginn hatte ich mehr oder weniger noch gehofft, wir würden den einen perfekten Blaupausentext für feministische Selbstreflexion veröffentlichen. Zu merken, wie viel Hilflosigkeit, unangetastete Gefühle und sexistische Strukturen auch in einem befreundeten, seit Jahren feministisch organisierten cis Mann zu Tage gefördert werden, wenn er seine eigene Misogynie reflektieren soll, hat mich herausgefordert. Ich und wir als Gruppe mussten uns die Frage stellen, wie viel Softness und liebevolle Fürsorglichkeit wir walten lassen, um diesen Prozess zu unterstützen und wie viel klare Kante und scharfe Kritik wir den Unzulänglichkeiten und sichtbar gemachten Sexismen entgegenbringen. Trotz und vielleicht auch wegen meiner Unzufriedenheiten und Unklarheiten zu meinem Verhältnis zu diesem Text und dem Entstehungsprozess:
Mir fehlt das, was dieser Text ist, in Freund*innen-Gruppen, Familien, Communities und politischen Gruppen sehr! Nicht als öffentliches Statement, sondern als zu übende und zu normalisierende Auseinandersetzung mit dem Shit, den wir so mitbringen, in all seinen ekligen, gefährlichen, unverstandenen Facetten. Wir sind keine guten Menschen, und es gibt in dem Sinne auch keine ‘guten Männer’. Wir sind die Menschen, zu denen uns zumindest teilweise ein widerliches, patriarchales, rassistisches und kapitalistisches System gemacht hat – wenn wir auch die Möglichkeit und Verantwortung dafür tragen, an uns und an den Machtstrukturen zu arbeiten, die uns formen.
Und wir müssten uns vielmehr damit auseinandersetzen, wie wir zusammen (politisch) arbeiten, uns lieben und aufeinander aufpassen im Bewusstsein, dass wir das sind. Die Idee wir müssten ‘gute Menschen’ oder ‘gute Linke’ sein, und deswegen verhalten wir uns nie rassistisch, sexistisch oder ableistisch¹ (wobei letzteres ja auch eher ein jüngerer Anspruch in vielen Kontexten ist, wenn überhaupt) ist Bullshit. Wir können nicht an diesen Strukturen arbeiten, wenn wir sie nicht ansprechen.
Das Statement: „Ich verhalte mich kacke“ ohne zugleich „Ich bin halt so, und übernehme deswegen keine Verantwortung/verändere nichts/arbeite nicht daran“ zu implizieren, ohne sich mit „Ich bin eigentlich ziemlich geil, weil ich das alles gerafft und reflektiert habe“ profilieren zu wollen, ohne dass plötzlich „Ich bin so ein schlechter Mensch, habt Mitleid mit mir“ im Zentrum steht und ohne das lähmende und kontraproduktive „Ich hasse mich selber, darf keine Bedürfnisse haben, mich nicht gut fühlen, alles wäre besser, wenn ich verschwinden würde.“ gibt es so selten! Aber ich denke, genau das müssen wir lernen. Und unsere Ambiguitätstoleranz² wird halt vermutlich herausgefordert:
Ich bin froh, dass wir den Text in dieser Form veröffentlicht haben. Ich bin gleichzeitig enttäuscht davon, wo manche Prozesse beim Autor zur Zeit anscheinend stehen geblieben sind. Außerdem habe ich, während der Text entstanden ist, dem Autor immer wieder selbstgeißelnde Selbstverleugnung und Sexnegativität unterstellt, beispielsweise im Zusammenhang mit industrieller Mainstream-Pornografie. Ich hatte den Impuls mitzuteilen, dass es keine feministische Position ist, seine Desires als cis-hetero-männliche per se als problematisch und patriarchal zu verurteilen, auch dann nicht, wenn sie mit gegenderten Machtdynamiken zu tun haben.
All diese Zweifel, die harte Kritik, die Zustimmung, die liebevolle Unterstützung und die komplexen inhaltlichen Diskussionen müssen irgendwie gleichzeitig in mir Raum finden in Reaktion auf den Text – nicht so anders als in meiner eigenen Auseinandersetzung mit meinen eigenen privilegierteren Positionierungen. In jedem Fall merke ich, dass ich mir diesen Austausch wünsche, solange er nicht überhand nimmt. Zentral muss für mich bleiben, politisch und strukturell die Kämpfe zu führen, die die Strukturen und Systeme angreifen, die all dem zu Grunde liegen. Auf der anderen Seite ist die Basis für diese Kämpfe ein Vertrauen, dass wir eine Koalition mit demselben Ziel bilden können. Und ohne einen derartigen Austausch kann ich mir dieses Vertrauen nicht vorstellen.
ℹ️Begriffserklärungen:
¹Ableismus: Diskriminierung, Abwertung, Hass und Gewalt gegenüber Menschen mit Behinderung aufgrund ihrer Behinderung. Der Begriff geht darüber hinaus auch auf die strukturellen Gegebenheiten sowie die Deutungen der nichtbehinderten Dominanzgesellschaft ein, welche Menschen und deren Körper nach Leistungsfähigkeit bewertet.
Hier unsere freie Übersetzung der Arbeitsdefinition von @TalilaLewis, entwickelt in Gemeinschaft mit behinderten Schwarzen/negativ rassifizierten Menschen:
Ein System der Wertzuweisung für Körper und Geist von Menschen, das auf gesellschaftlich konstruierten Vorstellungen von Normalität, Produktivität, Erwünschtheit, Intelligenz, Leistung und Fitness beruht. Diese konstruierten Vorstellungen sind tief verwurzelt in Eugenik, Anti-Schwarzen Rassismus, Misogynie, Kolonialismus, Imperialismus und Kapitalismus. Diese systematische Unterdrückung führt dazu, dass Menschen und die Gesellschaft den Wert von Menschen auf der Grundlage ihrer Kultur, ihres Alters, ihrer Sprache, ihres Aussehens, ihrer Religion, ihres Geburts- oder Wohnorts, ihrer „Gesundheit/ihres Wohlbefindens“ und/oder ihrer Fähigkeit, sich zufriedenstellend zu reproduzieren, „hervorzutun“ und „sich zu benehmen“, bestimmen. Man muss nicht behindert sein, um Behindertenfeindlichkeit zu erleben.
Dazu außerdem empfehlenswert das Buch Behinderung und Ableismus von Andrea Schöne.
²Ambiguitätstoleranz: Die Fähigkeit, mehrdeutige oder widersprüchliche Situationen auszuhalten.