Dass in unserer Gesellschaft Frauen¹ abgewertet, unterdrückt, ausgebeutet und gehasst werden, hat lange und komplexe Geschichten hinter sich. Die Auswüchse des Frauenhasses sind dabei immer dynamisch: Misogynie passt sich den gegebenen gesellschaftlichen und ökonomischen Umständen an. Ihre Funktion bleibt dabei gleich: Sie ist eine Ideologie, die Behauptungen über die Natur von Frauen aufstellt, um Ausbeutung und Gewalt zu rechtfertigen. Als solch eine Ideologie ist Misogynie sehr alt und lässt sich bereits in antiker Mythologie finden. Dass zum Beispiel Pandora, die in der griechischen Mythologie von den Göttern geschickt wird und den Menschen alles Übel der Welt bringt, eine Frau ist, ist kein Zufall. Vergleichbar damit ist, dass im christlichen Schöpfungsmythos die erste Frau, Eva, vom Teufel verführt wird und somit die Vertreibung aus dem Paradies verschuldet.
Misogynie hat also viele Geschichten. Heutige Formen der Misogynie sind allerdings wesentlich geprägt von der Entstehung und dem Fortbestehen des Kapitalismus. Um dies nachzuvollziehen, werden wir in den nächsten Texten auf verschiedene geschichtliche Entwicklungen der Frühen Neuzeit und der beginnenden Moderne, also der Zeitperiode zwischen dem 15ten und 18ten Jahrhundert in Europa, und die spezifische Misogynie, die sie hervorgebracht haben, eingehen. Die in dieser Zeit geprägten Bilder von Weiblichkeit sowie der gesellschaftlichen und ökonomischen Stellung der Frau haben in großen Teilen bis heute Bestand. Der Blick in die Geschichte macht deutlich, wie der entstehende Kapitalismus von Anfang an auf der Entmachtung und Ausbeutung von Frauen beruhte.
Für die drei Geschichten der Misogynie, die wir in den folgenden Texten erzählen werden, beziehen wir uns maßgeblich auf Silvia Federicis Buch “Caliban und die Hexe” (große Empfehlung an dieser Stelle, allerdings in weiten Teilen doch recht kompliziert!).
In der ersten Geschichte geht es um reproduktive Gerechtigkeit², sexuelle Unterdrückung und Vergewaltigung. Sie beginnt im 14ten Jahrhundert: Im ausgehenden Mittelalter war zwischen 1347 und 1351 in Europa beinahe die Hälfte der arbeitenden Bevölkerung an der Pest gestorben. Besonders arme Menschen starben in so großen Zahlen, dass es kaum noch Arbeiter*innen auf den Feldern gab. Während der Wohlstand der Reichen abnahm, konnten sich besonders Bäuer*innen nun aussuchen, für wen sie arbeiteten, da sie händeringend gesucht wurden. So konnten sie Forderungen nach weniger Abgaben und besseren Arbeitsbedingungen stellen. Die Kämpfe gegen das vorherrschende feudale Herrschafts-System³ brandeten zu großen Rebellionen auf. Die politische, soziale und militärische Macht des Adels wurde in Frage gestellt und an verschiedenen Orten besiegt.
Um diesen Entwicklungen entgegenzuwirken, entwickelten die Landbesitzer Europas (der größte davon war die Kirche) in der Frühen Neuzeit, also ab dem 15. Jahrhundert, überall unterschiedliche Strategien. Eines der wichtigsten Ziel dabei war es, hohe Geburtenraten zu sichern, um die Zahlen der arbeitenden Bevölkerung wieder zu erhöhen. Dafür wurde auf die kirchliche Sexualmoral zurückgegriffen, die alle Formen von Sexualität, die nicht der Zeugung dienten, also Homosexualität, Analverkehr, Empfängnis-Verhütung, Selbstbefriedigung und sogar sexuelle Abstinenz zu Sünden erklärte und die einzige erlaubte sexuelle Position erklärte. Diese war bereits im 12. Jahrhundert verfasst worden, um die Macht zu brechen, die Sexualität Frauen über Männer verlieh. Bis heute finden wir ihre Ideen in der Abwertung von allen Formen von Sexualität wieder, die nicht heterosexueller, vaginal-penetrativer Sex sind. Es ist kein Zufall, dass dies auch die Form von Sexualität ist, die cis Männer³ bis heute am schnellsten zum Orgasmus bringt. Grund dafür ist einerseits, dass dieser bei cis-geschlechtlicher Heterosexualität im Gegensatz zum weiblichen Orgasmus eine Bedingung für Reproduktion darstellt, anderseits, dass sich Männer diese Regeln schlicht ausgedacht haben. Guter Sex wird definiert als Sex, der Männern gefällt. Was Frauen gefällt, ist egal. Wie tief das in unser angelerntes Verständnis von Sex eingeschrieben ist, kann nicht stark genug betont werden.
Und während Verstöße gegen diese Regeln auf grausame Art bestraft wurden, ist es wichtig zu verstehen, wie eng diese Ideen immer auch mit sexueller Gewalt verknüpft waren. In Frankreich zum Beispiel wurden zu dieser Zeit an vielen Orten mit großem Erfolg Vergewaltigungen an armen Frauen vollständig legalisiert und kirchlich legitimiert. Das führte zu Gruppen an jungen Männern, die nachts durch die Straßen ihres Dorfes oder ihrer Stadt liefen und Frauen aus ihren Häusern zerrten und gemeinsam vergewaltigten, ohne Anstalten zu machen, ihre Identität zu verbergen.
Diese Vergewaltigungskultur war nicht nur eine Begleiterscheinung der Kontrolle der Reproduktion. Bewegungen, die gegen die generelle Ungleichheit aufbegehrten, wurden durch diese Vergewaltigungen gespalten. Die frisch gewachsene Klassensolidarität, die eine Errungenschaft des antifeudalen Kampfes war, wurde zersetzt und zerstört durch die Gewalt gegenüber Frauen der unteren Klassen – in der Regel gefolgt vom sozialen Ausschluss der Betroffenen. Diese Strategie war besonders effektiv, da Frauen zentrale Rollen im Widerstand einnahmen.
Etwa hundert Jahre später war die europäische Wirtschaft durch den sich ausbreitenden Kolonialismus bereits massiv abhängig von der Arbeitskraft der kolonialisierten und versklavten Bevölkerungen in den Amerikas. Der Völkermord an der indigenen Bevölkerung im Zuge der Conquista⁴, zusammen mit einem Bevölkerungsrückgang in Europa, löste erneut eine Krise des Wirtschaftssystem aus. Reproduktion wurde nun endgültig zur staatlichen Angelegenheit. Alle europäischen Regierungen erließen in dieser Zeit Gesetze, die Verhütung, Abtreibung und Kindstötungen aufs Schärfste betraften, um künftige Arbeitskraft sicherzustellen. Nicht selten passierte dies auch auf Kosten des Lebens der Mutter. Die Idee, dass es die Aufgabe von (armen) Frauen sei, schwanger zu sein und zu gebären, und dass diese Aufgabe nicht nur über dem persönlichen Glück sondern, auch über dem Leben der Frauen stehe, ist eine Idee, die sich unverändert in immer wiederkehrenden Diskussionen um reproduktive Gerechtigkeit findet. Nach dem Verbot und der Vernichtung des Wissens über weiblich kontrollierte Verhütung und Abtreibung taucht später Verhütung im bürgerlichen Umfeld wieder auf, doch nun sind es ausschließlich Mittel und Techniken, die die Empfängnis-Kontrolle in männliche Hände legt.
Die Entwicklungen dieser Zeit verdeutlichen, wie eng Misogynie, die Entstehung des Kapitalismus und die staatliche Kontrolle der Reproduktion miteinander verwoben sind. Und sie zeigen uns, wie aus bestimmten historischen Entwicklungen Vorstellungen von Weiblichkeit geschaffen werden, die Ausbeutung und Gewalt rechtfertigen sollen.
ℹ️Begriffserklärungen:
¹Wir werden in den kommenden vier Texten immer wieder von ‘Frauen’ schreiben. Wir wollen dazu anmerken, dass viele der Bedeutungen, die diese geschlechtliche Kategorie trägt, erst zu den Zeiten geprägt wurden, über die wir hier schreiben. Auch hat sich die Bedeutung seither weiter verlagert. Wir sollten nicht versuchen, heutige Ideen von Geschlecht in die Geschichte zu projizieren. Und während wir also eine geschichtliche Kategorie und Machtachse bennen wollen, ist uns bewusst, dass es immer schon Körper, Identitäten und Praktiken gab, die auf einer grundlegenden Ebene widerständig gegen geschlechtliche Zuordnungen und Binaritäten waren.
²Reproduktive Gerechtigkeit: Die Forderung danach, dass Entscheidungen rundum Zeugung oder Geburt (also biologische Reproduktion) von denjenigen getroffen werden, die von ihnen betroffen sind. Häufig geht es in der heutigen Zeit bei dieser Frage um das Recht auf Schwangerschaftsabbruch.
³Die Feudalherrschaft war das vorherrschende Wirtschaftssystem des europäischen Mittelalters. Grundbesitz wurde von Adeligen und Geistlichen Bauern und sogenannte Lehnsherren verliehen, die es dann weiter an Bauern verliehen. Im Gegenzug zahlten diese Abgaben und leisteten militärische und andere Dienste.
⁴Die Conquista (spanisch für “Eroberung”) Amerikas durch europäische Staaten ab Ende des 15. Jhd. war der kolonialistische Prozess einer Reihe von Kriegen und militärischen Konflikten mit dem Ziel, diese Gebiete und die indigenen Völker in ihre Herrschaft einzugliedern.