Kontextualisierung zu Federici und geschlechtliche Sozialisation

Uns hat Kritik erreicht, die sich auf unsere letzten Texte bezieht, welche sich sehr stark an Silvia Federicis Buch “Caliban und die Hexe” und ihrem Text “Wages Against Housework” orientieren. Wir wurden vor allem auf die transfeindlichen Positionen der Autorin hingewiesen. Außerdem haben wir im letzten Text den Begriff “weibliche Sozialisation“ benutzt und wurden auf die allgemeine Problematik des Begriffs aufmerksam gemacht. Für eine Auseinandersetzung mit der Kritik haben wir uns deshalb ein bisschen Zeit genommen und nicht wie gewohnt weitere Texte veröffentlicht. Wir sind super dankbar, wenn ihr uns solche Kritik schreibt und wollen an dieser Stelle auf einige der genannten Kritikpunkte eingehen und eine nachträgliche, kurze (unvollständige!) Einordnung von unserer Seite veröffentlichen.

Federici ist vor allem in ihren neueren Büchern¹ “Hexenjagd” und “Jenseits unserer Haut” sowie in diversen Interviews mit queerfeindlichen Argumentationen aufgefallen, die eine große Nähe zu den selbstbezeichneten “gender critical feminist” haben – einer transfeindlichen Strömung des Radikalfeminismus vor allem in Großbritannien. Unter anderem argumentiert sie für biologistisch definiertes Geschlecht, bezeichnet Feminismus als einen Kampf ausschließlich von und für Frauen und assoziiert “große Teile der trans Bewegung” mit einem neoliberalen Pseudo-Feminismus, den sie angreift.

Während ihr älteres Buch “Caliban und die Hexe” in diesen Punkten nicht so offensichtlich ist, fällt aber auch hier auf, dass queere Identitäten kein Teil ihrer Analyse sind. Das ist auf jeden Fall zu kritisieren: Wer feministische Analysen machen will, muss auch die Lebensrealitäten aller, die vom Feminismus befreit werden sollen, einbeziehen. Dazu gehören selbstverständlich queere, trans und nicht-binäre Identitäten. Diese sind sogar zentral, da sie bereits in ihrer Existenz Widerstand gegen patriarchale und kapitalistische Machtstrukturen und Rollenverteilungen darstellen können. Grundsätzlich geht es aber nicht nur darum, um wen sich Federicis Analysen drehen, sondern auch, mit welchen Grundannahmen über Geschlecht sie ihre Analysen macht und welche Konsequenzen sich aus ihren Analysen ergeben.
Und da sollten wir auch bei “Caliban und die Hexe” genau hinschauen. So lässt sich der Text auch als Stabilisierungsversuch von binärem, unveränderlichen Geschlecht lesen, der eine “feministische” Befreiungsbewegung fordert, in deren Zentrum einzig und allein “die Frau” steht. Wir halten das Buch dennoch nicht für unbrauchbar. Mit einem queeren Verständnis von Gender können uns Federicis historische Analysen helfen zu verstehen, wie und warum bestimmte geschlechtliche Rollen überhaupt erschaffen und erzwungen wurden und werden. Allerdings haben wir den Fehler gemacht, die Ausklammerung queerer Identitäten von Federici in Teilen zu übernehmen und ihre aktuelle Verordnung im transfeindlichen Diskurs nicht im Vorfeld zu recherchieren.


Der Begriff der geschlechtlichen Sozialisation (bzw Sozialisierung) ist mittlerweile zu einem Kampfbegriff verschiedener transfeindlicher “feministischer” Strömungen geworden (sogenannte TERFs: trans exclusive radical feminists oder auch “gender critical feminists”). TERFs behaupten dabei, dass die Sozialisation strikt nach dem der Person zugeschriebenen Geschlecht geschieht und es eine klare Einteilung in eine weitgehend einheitliche weibliche und eine ebenso einheitliche männliche Sozialisation gibt.
Diese Ansicht ist unvereinbar mit der Lebensrealität vieler queerer, nicht-binärer und trans Personen. Das Argument wird weiter genutzt, um Personen ihre Geschlechtsidentität abzusprechen und offen trans-feindlich zu sein. Nicht selten wird mit dem Sozialisationsargument z.B. trans Frauen der Zugang zu Frauenräumen und safe spaces verwehrt, weil sie ja “männlich sozialisiert” seien, dies nicht ablegen könnten und somit für cis Frauen weiterhin eine Gefahr darstellen würden. Hier wird deutlich, was für ein starres, binäres, unterkomplexes und schlicht falsches Verständnis TERFs von dem Prozess der Sozialisation haben.

Wir begreifen geschlechtliche Sozialisation als einen nie abgeschlossenen Prozess. Dieser wird sowohl individuell durch familiäre, traumatische und andere persönlichkeitsbildende Erfahrungen, als auch durch strukturelle Ebenen wie durch Klasse, race, (dis)ability und andere Positionierungen wesentlich geprägt. Sozialisation steht dabei immer in einem Spannungsfeld von geschlechtlicher Identität und äußeren Anforderungen.

ℹ️Anmerkungen

¹Wir haben die Bücher selber nicht gelesen und beziehen uns auf Kritiken und Zitate im Internet. Unter anderem findet ihr hier eine ausführliche Kritik (Englisch)

Zum Nachlesen: eine Broschüre zu TERFs vom Bundesverbdand Trans*