Einleitung zu cis männlicher Selbstreflexion
Ob wir wollen oder nicht, ob wir es uns eingestehen oder nicht – wir alle haben Misogynie internalisiert. Wir finden es wichtig, sich damit auseinanderzusetzen – auch und inbesondere aus cis männlicher Perspektive. Unserer Erfahrung nach sind solche Auseinandersetzungen allerdings häufig oberflächlich oder unehrlich, verlieren sich in allgemeinem feministischen Blabla und bleiben dort stecken, wo man als Typ nach außen einen vermeintlich feministischen Anschein erweckt und die Spülmaschine eigenständig auszuräumen weiß. Uns ist klar, dass wir nicht darauf warten werden, bis sich cis Männer genug reflektiert haben, um für den Feminismus zu kämpfen und wir glauben auch nicht, dass wir so das Patriarchat abschaffen.
Trotzdem denken wir, dass solche Auseinandersetzungen Bestandteil antisexistischer Praxis sein müssen. Öffentliche Auseinandersetzungen von cis hetero Männern mit ihrer Misogynie oder ihrer Täterschaft sind in der Vergangenheit allerdings oft gescheitert – siehe Fall von Valentin Moritz¹.
Und auch wenn eine solche Auseinandersetzung nicht von Selbstdarstellung, Profilierung und performativer Selbstreflektiertheit geprägt wäre, bliebe immer noch die Frage, ob wir in feministischen öffentlichen Auseinandersetzungen überhaupt die Stimmen von Tätern und cis Männern, die sich mit ihrer Misogynie auseinandersetzen, hören sollten². Klar ist: Wir sollten uns auf die Stimmen derjenigen konzentrieren, die von Sexismus und Patriarchat betroffen sind. Und dennoch wollen wir hier im folgenden Text den Versuch einer anonymen cis-männlichen Selbstreflexion aus dem Kalender-Team machen
Dafür sehen wir verschiedene Gründe: Erstens wollen wir hier weiterhin persönliche und nahbare Texte veröffentlichen, mit denen sich Leser*innen (in dem Fall cis-hetero Männer) identifizieren können (und hier besonders an sich selbst erschrecken können). Zweitens können solche Texte als Warnung für all diejenigen gelesen werden, die mit Männern – insbesondere den kritischen cis hetero Männern – zu tun haben und potenziell von ihrer Misogynie und männlichem Überlegenheitsanspruch betroffen sind, die nach außen oft gut versteckt bleiben.
Doch letztlich sind wir davon überzeugt, dass eine Praxis der alleinigen Selbstreflexion nicht ausreichen wird, um effektiv innere patriarchale Muster zu überwinden. Es benötigt immer auch feministische Kritik an dieser Selbstreflexion, um Motive und Schlüsse kritisch zu hinterfragen und Männer nicht mit Oberflächlichkeiten davonkommen zu lassen.
Deshalb, und damit wir das Ganze nicht einfach unkommentiert stehen lassen, werden wir danach ein paar feministische Antworten aus verschiedenen FLINTA* Perspektiven aus dem Kalender-Team veröffentlichen. Stay tuned.
Misogyne Selbstverarsche?
Content Note: Im folgenden Text wird es um Übergriffigkeit sowie eigene Misogynie, Sexualität, Pornografie und Täterschutz aus persönlicher, cis hetero männlicher Perspektive gehen.
Seit einiger Zeit setze ich mich nun schon mit Sexismus, meiner Männlichkeit und meinen hetero-cis Privilegien auseinander. Ich stellte mir den Anspruch für Gerechtigkeit einzustehen und angemessen, ‘vernünftig’ und nicht sexistisch mit FLINTA* in meinem Umfeld umzugehen. Ich begehe weder krasse, misogyne Übergriffe, noch ziehe ich offensichtlich sexistische Scheiße ab. Ich weiß meistens, wie ich mich verhalten muss, weshalb andere und ich selbst mich oft für einen von den Guten halten.
Das bedeutet natürlich nicht, dass ich keine sexistischen oder misogynen Gedanken und Verhaltensweisen an den Tag lege. Denn ich habe natürlich in dieser Gesellschaft einen großen, misogynen Spielraum. Oft hängt die Messlatte so tief, sodass ich mit oberflächlicher Selbstreflexion, etwas Einfühlvermögen, einem Grundverständnis feministischer Standpunkte und einer gewissen körperlichen Sanftheit mein Selbstbild des ’Guten’ stärken kann und gleichzeitig in vielen progressiven Kreisen anerkannt werde. So kann ich – bewusst oder unbewusst – getrost den ein oder anderen misogynen Kommentar ablassen oder auch nur denken, ohne dass er herausgefordert wird.
Doch grundsätzlich reflektiere ich meinen Alltagssexismus/-misogynie, der mir auffällt – spätestens, wenn ich von Feminist*innen in meinem Umfeld oder feministischen Medien darauf aufmerksam gemacht werde. Das hat mir für einige Sachen die Augen geöffnet, weshalb ich dieser Selbstreflexion lange eine große Wirkung gegen das Patriarchat in mir zugeschrieben habe – mit dem positiven Nebeneffekt, dass ich damit als ‘reflektierter Typ’ gut ankomme. Und doch gibt es ein paar Dinge in mir, die ich nicht anrühre. Dinge, die ich nicht mal vor mir selbst aussprechen will.
Denn ich könnte mich fragen, wie vertrauensvoll meine Solidarität mit Betroffenen von männlicher Gewalt wirklich wäre, wenn es drauf ankommt. Insbesondere, wenn mir beim Wort ‘Vergewaltigungsvorwurf’ und ‘Ausschluss der Täter’ als erstes ein Funken Angst vor Konsequenzen und Mitgefühl für eine ausgeschlossene Person in den Bauch springt und ich mich mit dem Täter identifiziere, bevor ich dann schnell zu einem feministischen Standpunkt komme. Aber diese Frage stelle ich mir nicht. Ich setze mich nicht mit dieser Angst auseinander. Ich tue einfach so, als wäre sie nicht da oder begründe es halbherzig damit, dass ich halt Täterschutz-Narrative verinnerlicht habe.
Oder ich blicke auf meine Erfahrungen mit Mainstream-Pornos, von denen ich immer schon wusste, dass sie ‘irgendwie problematisch’ sind. Ich schäme mich, dass es mich anmacht, welchen Blickwinkel die Videos einnehmen, wie Frauen dargestellt werden, und wenn ihnen meistens am Ende auf den Körper oder ins Gesicht ejakuliert wird. Die Lust an diesen Videos spiegelt mir letztlich, dass ich mir in meinen sexuellen Fantasien Frauen eigentlich oft als Werkzeug meiner Befriedigung vorstelle. Und diese Lust verschwindet eben nicht einfach, wenn ich zu feministischen Pornos wechsele, oder mich im Nachhinein davor ekele. Also halte ich es geheim. Es passt nicht zu meinem Selbstbild. Doch außer Scham kommt da wenig. Ich schiebe das Thema weg, bevor eine wirkliche emotionale Auseinandersetzung damit stattfinden könnte, oder ich mich mit anderen Typen darüber austausche.
Ähnliches gilt für Situationen im öffentlichen Raum: Menschen, die ich attraktiv oder begehrenswert empfinde, schaue ich weder aufdringlich an, noch flirte ich unangenehm. Doch diese sexuelle Anziehung begleitet manchmal ein unterschwelliger Wunsch, diese Körper würden mir zur Verfügung stehen (wie nach 2 Klicks bei pornhub). Mein Umgang damit? Ich drücke es weg. Das passt nicht zu meinem Selbstbild. Sowas macht man(n) nicht. Sowas mache ich nicht – im Gegensatz zu anderen Männern. Ich setze mich nichtmal mit meinen Emotionen auseinander, die ich beim Ausformulieren dieser Beobachtung habe. Das alles halte ich möglichst von mir fern.
Im Umfeld von Feminist*innen steigen die feministischen Ansprüche an mich. Auch wenn ich glaube, auf ihrer Seite zu stehen, macht mir das zu schaffen. Es stößt in mir auf Widerstand. Widerstand, den die Leute zu spüren kriegen, die mich kritisieren. Widerstand, den ich zwar teilweise annehme, aber auch herunterschlucke, um Kritikfähigkeit zu beweisen. Widerstand, den ich mir selten eingestehe und der unterschwellige Angst, Abneigung und Wut gegen Feminist*innen und auch FLINTA* generell füttert. Widerstand, der mir eigentlich ziemlich deutlich signalisiert, dass ich gar nicht so sehr daran interessiert bin, dass sich bestimmte Verhältnisse verändern.
Immerhin profitiere ich ja von meiner und der gesellschaftlichen Misogynie: Sie bietet Schutz sowie Rechtfertigung vor mir und anderen, sollte ich Grenzen überschreiten und Fehler nicht einsehen. Sie macht es mir – bewusst oder unbewusst – möglich, geschlechtliche Machthierarchien z.B. beim Sex für meine Befriedigung auszunutzen zu können, auch ohne übergriffig zu sein. Sie ermöglicht es mir, feministische Kritik an mir nicht ernst zu nehmen und eine gemütliche Auseinandersetzung mit ihr verschafft mir in progressiven Kreisen einen Vorteil gegenüber den Männern, die es nicht tun.
Natürlich ist es als allererstes wichtig und richtig, sich diesen misogynen Impulsen zu widersetzen, die an sich schon ein Gewaltpotenzial darstellen.
Trotzdem muss ich mir ganz klar die Frage stellen, was dahinter steht: Wem nützt es eigentlich, wenn ich meinen misogynen Impulsen und meine emotionalen Reaktionen auf sie wegdrücke oder herunterschlucke? Und was hat diese Misogynie und mein vermeidender Umgang eigentlich mit meiner Männlichkeit zu tun?
Denn wie kann es denn sein, dass ein Blick auf meine Gefühle bezüglich dieser Impulse oft bedeutet, nicht wirklich welche wahrzunehmen?! Das löst manchmal Entsetzen aus, manchmal macht es mich ratlos und lost und manchmal bin ich wütend auf mich und über meine emotionale Gleichgültigkeit: Wo ist meine Trauer, meine Verbundenheit und mein Mitgefühl für die Menschen, gegen die sich mein Frauenhass richtet und wo meine Abscheu gegen mich, wenn ich mich dabei erwische, mich mit Tätern zu identifizieren? Was ist das für eine ekelhafte Strategie, das immer und immer wieder schnell wegzudrücken, abzuwehren oder zu ignorieren, um mit mir im Reinen zu bleiben, nichts wirklich an mir ändern zu müssen und meine Männlichkeit nicht fundamental infrage zu stellen?
Ich weiß nicht, ob es anderen Typen auch so geht oder wie sie damit umgehen. Denn darüber spreche ich dann auch mit meinen kritischen Kumpels nicht wirklich. Aber ich weiß, dass ich gut darin war und bin, einige misogyne Impulse und Gedanken weder anzuerkennen, noch sie herauszufordern – zumindest solange, bis ich wiederholt vor konsequente, feministische Kritik gestellt werde. Das ist peinlich, aber letztlich wohl die traurige Wahrheit.
ℹ️Links
¹ Artikel zur Debatte um den Sammelband ‘Oh Boy’ und Valentin Moritz
² Dazu empfehlenswert: Bettina Wilpert: Toxische Männlichkeit in der Literatur, Missy Magazin von 06.23 (hier hinter Paywall)