Und Misogynie heute!?

Die drei Geschichten, die wir in den letzten Wochen gepostet haben, sind nur ein paar von vielen, die erzählt werden könnten und sollten. Und sie zeigen bereits: Historisch ist Misogynie nicht bloß ein altes und ausgefeiltes Werkzeug zur Unterdrückung von FLINTA*, sondern eng verwoben mit kapitalistischer Ausbeutung, Antisemitismus und kolonialer Gewalt. Ihre Grundlage ist immer die Erschaffung einer fixierten Weiblichkeit und ihr Resultat sind Ausbeutung, Morde, Vergewaltigungen und Männer in Machtpositionen.
Neben geschichtlichen Betrachtungen ist es wichtig, zu schauen, welche neuen misogynen Erzählungen zur Zeit aufkommen, die Teil eines aktuellen antifeministischen Backlashes¹ sind. Über jeder dieser Erzählungen lassen sich ganze Bücher schreiben. Wir werden an dieser Stelle jedoch nur einen kleinen und unvollständigen Einblick bieten:

Prominente Figuren, die zur Zeit viel darüber reden, was Frauen und Weiblichkeit ausmacht, sind unter anderem Jordan Peterson und Andrew Tate. Ersterer erklärt, dass es richtig sei, dass Frauen weniger verdienen als Männer und schlägt Zwangs-Monogamie als Lösung für Gewalt gegen Frauen vor. Tate auf der anderen Seite wirbt bei seiner sehr großen jugendlichen Fanbase für Vergewaltigungen, stellt Frauen als Besitz von Männern dar und ist für Vergewaltigung und Menschenhandel angeklagt – um nur ein paar ihrer misogynen Vorstellungen wiederzugeben.

Ein erschreckend großes Netzwerk an Menschen mit einem spezifischen, ausformulierten Geschlechterbild sind die Incels – kurz für ‘involuntary celibate’, also unfreiwillig sexuell abstinent. Es ist die Selbstbezeichnung einer im Internet weltweit organisierten Gruppe an Männern, die sich von der Gesellschaft betrogen fühlen, weil Frauen keinen Sex mit ihnen haben. Ihr Weltbild ist durchzogen von antisemitischen Verschwörungstheorien und rassistischen Feindbildern. Bekannt wurde das Phänomen durch eine Serie von Anschlägen und Amokläufen durch Incels, die sich gegen Frauen oder ‘attraktive Männer’ richteten.

Seit den 1990er gibt es wieder neue Wellen von Hexenverfolgungen in verschiedenen afrikanischen Ländern. Ähnlich unserer zweiten Geschichte, sind sie als Folge von Landprivatisierungen zu beobachten, die wiederum von der Weltbank und dem IWF (Internationalen Währungsfond) im Rahmen von ‘Entwicklungsmaßnahmen’ erzwungen werden. Diese Fortführung kolonialer Ausbeutung vermischt sich in den jeweiligen kulturellen und religiösen Kontexten zu anderen Geschlechterbildern als im christlichen Europa des 15. Jahrhunderts. Allerdings führt sie in verblüffend ähnlicher Form zu vergeschlechtlichter Gewalt.

Der Vatikan und die katholische Kirche bleiben auch weiterhin ein fester Felsen sexistischer Ideologie und Panikmache. So vergleicht zum Beispiel Papst Franziskus ‘gender theory’ mit nuklearen Waffen und der Hitler-Jugend und setzt Schwangerschaftsabbrüche mit Auftragsmorden gleich.

In den USA werden feministische Errungenschaften jahrzehntelanger Kämpfe zu körperlicher Selbstbestimmung angegriffen und juristisch rückgängig gemacht. Mit einer Welle an Entscheidungen in Parlamenten und Gerichtshöfen – allen voran dem Obersten Gerichtshof – werden Verbote von Schwangerschaftsabbrüchen (wieder)hergestellt und verteidigt.

Der aktuelle antifeministische Backlash lässt sich gut mit dem Grundbauplan von Misogynie analysieren. Misogynie baut immer darauf auf, festzulegen und zu erklären, was Frauen sind oder was Weiblichkeit ist, um damit Ausbeutung und Gewalt zu rechtfertigen. Deshalb ist einer der entscheidenden Punkte, den misogyne Bewegungen gemein haben, sich gegen jede Auflösung klarer, binärer, endgültiger und ‘biologisch’ bestimmter Geschlechterbilder zu wehren. Der erste Schritt, Frauen ‘wieder an ihren Platz’ zu verweisen, ist sicherzustellen, dass klar ist, was eine Frau ist und wie sie zu sein hat. Dazu ist es wichtig, diese Ideologie mit biologistischer² Pseudo-Wissenschaft in die Körper einzubrennen. Darum ist der zur Zeit weitverbreitetste und am offensten ausgesprochene gemeinsame Nenner misogyner Bewegungen Trans-Feindlichkeit und die Ideologie von binärem Geschlecht. Sie treten damit vor allem als “Anti-Gender-Bewegung” auf.
Diese neuen Strömungen, die auch im linksliberalen oder selbst-bezeichnend ‘feministischen’ Spektrum anschlussfähig sind, erklären die “Gender-Ideologie” zur größten Bedrohung der Menschheit. Sie träumen sich zurück in ein absolutistisches Patriarchat, das es so tatsächlich nie gegeben hat, in dem Frauen ‘an ihrem Platz’ sind, Männer stark und unangefochten herrschen und Geschlecht unambivalent und ‘natürlich’ ist. Dabei kann die als Feindbild aufgebaute ‘Gender-Ideologie’ alles beinhalten: von feministischer Politik, über Rechte  der LGBTQIA+ Community, bis hin zu Antirassismus und insbesondere der schieren Existenz von trans Personen. Es ist nicht erstaunlich, dass sich immer wieder zeigt, dass Transfeindlichkeit und Antifeminismus Einstiegstore für rechtsextreme und faschistische Radikalisierung und Ideologie sind.

Das Wissen über Misogynie ist wichtig, um gegen Täterschaft und für feministische Politik zu kämpfen. Und es kann uns helfen, bereits Errungenes zu verteidigen und dem faschistischen Potenzial der “Anti-Gender-Bewegung” entgegenzutreten.


Im folgenden haben wir noch einige uns bekannte weiterführende Quellen zu einigen der angeschnittenen Themen zusammengestellt (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):

Zu Jordan Peterson:

Zum Thema Incels:

Zur Hexenverfolgung:

Zum Widerstand gegen unbezahlte Hausarbeit:

Zum antifeministischen Backlash und Transfeindlichkeit:

Feministische Antworten auf selbsternannte ‘Dating Coaches’:

ℹ️Begriffserklärungen:

¹Der antifeministische Backlash ist eine Gegenreaktion oder ein Rückschlag gegen feministische Bewegungen und Errungenschaften der letzten Jahrzehnte.

²Biologismus bezeichnet den Ansatz, alle sozialen und zwischenmenschlichen Phänomene auf biologische Betrachtungen, wie Genetik, Hormone oder Anatomie zu reduzieren.