Hass klingt erstmal nach einem krassen Wort, Frauenhass erst recht. Für viele klingt es wie ein Randphänomen, eine extreme Anschauung, die nur wenige vertreten. Frauen zu hassen ist weder gesellschaftlich anerkannt, noch gilt es als etwas, das mit jedem von uns persönlich zu tun hat. Doch auch wenn wir es nicht wahrhaben wollen: Wir hassen Frauen.
Wir hassen Frauen, weil wir mindestens jeder dritten von ihnen physische und/oder sexualisierte Gewalt¹ antun. Weil wir in Deutschland jeden dritten Tag eine von ihnen ermorden und es niemanden juckt. Wir hassen Frauen, indem wir ihnen selbst die Schuld geben für die Gewalt, die sie erfahren. Der Rock war zu kurz, sie hatte zu tief ins Glas geschaut, sie hätte ja nein sagen können. Wir hassen Frauen, indem wir ihnen nicht glauben und die meisten Vergewaltiger nicht mit Konsequenzen rechnen müssen. Wir hassen Frauen, weil wir es nicht für nötig halten, für ihre Sicherheit zu sorgen. Uns ist es egal, dass sie sich nachts nicht sicher fühlen können. Wir hassen behinderte Frauen, indem wir ihnen noch viel mehr (sexuelle) Gewalt antun, als denjenigen ohne Behinderung. Wir nutzen aus, dass viele behinderte Frauen auf Pflege und Betreuung angewiesen sind und halten sie für nicht zurechnungsfähig. Wir hassen Schwarze und migrantische Frauen, denn wir schenken ihnen noch weniger Gehör und Glauben als weißen Frauen aus Deutschland.
Wir hassen Frauen, indem wir sie nicht ernst nehmen. Wir bezeichnen sie als emotional oder hysterisch, halten nichts von ihnen, schreiben ihnen keine Kompetenz zu und respektieren ihre Meinung erst, wenn sie auch ein Mann vertritt.
Wir hassen Frauen, denn ihre Arbeit zuhause ist es uns nicht wert, bezahlt zu werden. Wir erkennen diese Arbeit nicht mal als Arbeit an. Wir isolieren Frauen zuhause, damit wir es ihnen umso schwerer machen, gegen diese Verhältnisse anzukämpfen. Wir hassen migrantische Frauen, weil wir sie in Sorge-Berufen noch viel stärker ausbeuten, als ihre weißen, deutschen Kolleginnen. Wir hassen Frauen, indem wir es nicht für nötig halten, gleichen Lohn für gleiche Arbeit zu zahlen.
Wir hassen Frauen, denn sie sind bloß Objekte für den male gaze². Objekte, die für uns putzen, Objekte die wir für Sex benutzen können. Ihre Körper kontrollieren wir und benutzen sie als Gebärmaschinen. Wir bestimmen, wie wir ihre Körper haben wollen und finden es geil, sie zu degradieren. Für uns müssen sie ganz bestimmte Schönheitsideale erfüllen, ansonsten bestrafen wir sie sozial. Asia*tische³ Frauen hassen wir, indem wir sie exotisieren, sie entmenschlichen und als hypersexuell darstellen.
Wir hassen lesbische Frauen, indem wir ihre Sexualität höchstens „hot“ finden, nicht ernst nehmen, lesbischen Sex nicht als solchen anerkennen und ihre Intimität und Sexualität in den Medien für den male gaze darstellen. Feminine Lesben erkennen wir nicht als lesbisch an, während wir maskuline Lesben als unweiblich und bedrohlich wahrnehmen. Wir hassen bisexuelle Frauen, indem wir ihre Existenz leugnen und behaupten, sie seien hetero und mit dem bi-sein wollen sie nur Aufmerksamkeit. Wir hassen Frauen in Heterobeziehungen, indem wir sie in der Beziehung ökonomisch, emotional und sexuell ausbeuten und es ihnen als Liebe verkaufen. Und indem wir ihre finanzielle Abhängigkeit institutionell durch die Ehe und kulturell durch die Bilder, die wir ihnen vermitteln, aufrechterhalten.
Wir hassen trans Frauen, indem wir ihnen sagen, wer sie angeblich sind oder zu sein haben und sie in Debatten als gefährliche und kranke Männer darstellen, die Zugang zu Frauentoiletten haben wollen. Anstatt Männer anzugreifen, die tatsächlich aus misogynen Motiven Zugang zu Frauentoiletten wollen, schüren wir eine irrationale Angst vor denjenigen, die mit am meisten von Gewalt in Toiletten und Umkleiden betroffen sind.
Wir hassen nicht nur Frauen. Wir hassen Weiblichkeit. Wir hassen die Weiblichkeit, die wir schwulen und gender-nonkonformen⁴ Männern zuschreiben. Wir hassen Weiblichkeit, indem wir sie lächerlich finden. Ein Schminkvideo auf YouTube zu gucken finden wir alberner als den Gang ins Fußballstadion, als Bratwürste, Bier und schnelle Autos. Hohe Stimmen finden wir nervig und Emotionalität schwach und unnötig.
Misogynie ist in jeder Person verankert. Sie ist Teil unserer Kultur und durchzieht jeden Bereich unseres Lebens. Dennoch ist dieses gesamtgesellschaftliche wir, von dem wir hier sprechen, im Patriarchat meistens ein männliches wir. Und auch wenn Frauen und Queers Teile dieser Misogynie ebenfalls in sich tragen, sind es die cis-geschlechtlichen heterosexuellen Männer, für die dieser Hass fester Bestandteil ihrer Identität ist: um männlich zu sein, muss Mann Weiblichkeit abwehren und abwerten. Sie sind es, die diesen Hass zu Taten werden lassen. Sie sind es, die catcallen⁵, die vergewaltigen und die ihre (Ex-)Partner*innen umbringen. Wir müssen Misogynie benennen, anprangern, angreifen und verlernen. Und wir müssen darüber reden, wie (cis-hetero) Männlichkeiten diesen Hass und dieses enorme Gewaltpotential in sich tragen. Auch, wenn man fest davon überzeugt ist, kein Frauenhasser zu sein.
ℹ️Begriffserklärungen:
¹ sexualisierte Gewalt – siehe Einführung im Juli 2022
² male gaze – der männlich-heterosexuelle Blick auf weibliche Körper, der die öffentliche Darstellung und die gesellschaftlichen Bilder von Frauen und auch von weiblicher Sexualität prägt, als etwas, das ‘für Männer’ passiert oder dargestellt wird.
³ asia*tisch – “Die neue Schreibweise des Begriffes mit * soll die Stigmatisierungen auflösen, inklusiver sein und einen Bruch im Denken initiieren. Asia*tisch sein bedeutet, die Vielfalt der ost-, west-, süd- südost-/west-asiatischen Länder zu sehen und Teil davon zu sein. Es soll außerdem die Personen mit einschließen, die in der Diaspora aufgewachsen sind und/oder zum Teil asia*tische Wurzeln haben.” Mehr dazu findet ihr hier.
⁴ gender-nonkonformen – Gender-Nonkonformität bezeichnet hier das Brechen mit den gesellschaftlichen Erwartungen an Geschlecht, zum Beispiel durch Kleidung, Make-Up, etc. Gender-Nonkonformität kann auch eine Geschlechtsidentität bezeichnen, die mit binärem, zugeordneten Geschlecht bricht.
⁵ catcallen – Sexistisches Hinterherrufen oder -pfeifen.