Inhaltsanmerkung: Folgen sexualisierter Gewalt & Erwähnung von Vergewaltigung
Hast du schon mal mit jemandem geschlafen, jemanden geküsst oder angefasst? Wie war es, als du das letzte Mal intim mit einer Person warst, oder wie würdest du es dir vorstellen? An welche Person denkst du? Was habt ihr gemacht? Hattest du selbst Lust darauf? Hatte die andere Person Lust? Wärst du gerne gefragt worden, oder lieber nicht? Habt ihr im Vorhinein darüber gesprochen, was ihr machen wollt? Hast du gefragt, bevor du etwas mit der anderen Person gemacht hast? Warum, warum nicht?
Wir werden uns im November mit Konsens in sexuellen Kontexten beschäftigen. Im Dezember letzten Jahres haben wir es wie folgt eingeführt:
Konsens ist das freiwillige Einverständnis zweier oder mehrerer Personen, etwas (sexuelles) miteinander zu tun. Es ist die Grundlage von sexuellen Handlungen, denn nur einseitige Zustimmung heißt sexualisierte Gewalt¹ bzw. Vergewaltigung.
In der Praxis ist Konsens oft gar nicht so leicht. Bereits unsere Definitionen einer sexuellen Handlung sind sehr individuell. Kuscheln, küssen, fummeln, sind das für dich sexuelle Handlungen? Und wie spreche ich überhaupt darüber?
Konsens wird in erster Linie verbal ausgemacht, kann nach Absprache aber auch nonverbal gegeben werden. Vielleicht magst du es, immer wieder gefragt zu werden, wenn es intensiver wird, vielleicht findest du es unsexy, vielleicht total heiß. Teil von Konsens ist es auch, darüber zu sprechen, wie man Einvernehmlichkeit kommunizieren möchte. Es ist dabei wichtig, nicht nur “im Bett” über Bedürfnisse zu sprechen. Denn wenn man “gerade dabei” ist, geht alles oft sehr schnell und es fällt vielen Menschen schwer, ihre Wünsche und Gefühle zu kommunizieren.
Doch dabei gilt ganz klar: Nein heißt Nein. Und auch “ich weiß nicht”, “vielleicht später”, “warte” oder Schweigen heißt Nein. Nur eine eindeutige, freiwillige Zustimmung ohne Zwang heißt Ja. Zwang bedeutet dabei nicht nur physische Gewalt. Auch durch Machtgefälle, wie ein Arbeitsverhältnis, eine Beziehung oder finanzielle Abhängigkeit, die durch Ablehnung gefährdet werden, kann Zwang ausgeübt werden. Über solche Machtgefälle solltest du dir vorher immer Gedanken machen. Und auch einvernehmliche sexuelle Handlungen in der Vergangenheit sind kein Ja.
Für Konsens ist es wichtig, sich eigener Vorlieben, Bedürfnisse und Grenzen bewusst zu werden. Das ist für viele Menschen gar nicht so leicht. So ist es vor allem Teil weiblicher Sozialisation², eigene Grenzen und Bedürfnisse zurückzustecken oder sie denen von cis Männern unterzuordnen. Außerdem machen viele Menschen Erfahrungen mit sexuellen Grenzüberschreitungen, die oftmals zu nachhaltigen Veränderungen in ihrem Bezug zu Sexualität führen. Um Konsens zu praktizieren, kann es für manche Menschen deswegen hilfreich sein, über solche Erfahrungen zu sprechen. Erwarte das aber auf keinen Fall von deiner Sexpartner*in. Jede Person hat individuelle Strategien, um mit erlebten Traumata umzugehen. Vor allem als Person, die keine Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt gemacht hat, sollte dir daher bewusst sein, wie viele diese machen mussten und was für einen emotionalen Rucksack dein*e Partner*in möglicherweise tragen muss.
Wir finden aber, Konsens ist mehr als Nachfragen und Zustimmung geben. Um Sex zu haben, auf den wirklich alle beteiligten Lust haben, bedarf es oft (aber natürlich nicht immer) weitaus mehr. Konsens kann auch gemeinsame Verantwortung bedeuten, gesellschaftliche Vorstellungen zu hinterfragen oder sich immer wieder ehrlich mit sich selbst auseinanderzusetzen.
Gleichzeitig hat das Prinzip Konsens aber auch Grenzen. Wir leben in patriarchalen Strukturen, die auch durch sexuelle Gewalt systematisch aufrecht erhalten werden. Wir können deswegen nicht erwarten, dass wir diese Strukturen und Machtdynamiken brechen, indem wir einfach mehr kommunizieren. Dazu aber mehr im kommenden Monat.
❓Reflexionsfragen
- Wie definierst du Konsens?
- Was sind für dich sexuelle Handlungen?
- Hast du dir schonmal Gedanken über Konsens gemacht?
- Wie möchtest du Konsens umsetzen?
- Hast du jemals mit deine*r Partner*in oder Menschen, mit denen du etwas hattest, über Konsens geredet?
- Sprichst du auch über Sex und Konsens, wenn du nicht “im Bett” bist?
- Fällt es dir leicht, über sexuelle Handlungen zu sprechen?
- Bei welchen sexuellen Handlungen oder körperlichen Interaktionen fragst du vorher nach, bei welchen vielleicht nicht? Warum, warum nicht?
- Bei welchen sexuellen Handlungen oder körperlichen Interaktionen würdest gerne vorher gefragt werden?
- In welchen Kontexten (zum Beispiel One Night Stand, feste Partner*innenschaft,..) fragst du nach Zustimmung vor sexuellen Handlungen, in welchen nicht?
- Woher weißt du, was dein Gegenüber machen will? Wie teilst du deinem Gegenüber mit, was du machen willst?
- Ist dein Schweigen schon einmal als Zustimmung missverstanden worden? Glaubst du, du hast mal das Schweigen einer anderen Person als Zustimmung missverstanden?
- Hast du schonmal versucht, eine Person zu einer Sache zu überreden, bei der sie zögerte?
- Hast du jemals versucht Situationen so herbeizuführen, dass du einen Vorwand dafür bekommst, Menschen anzufassen? Insbesondere von Menschen bei denen du denkst, dass sie “nein” sagen würden, wenn du sie fragst? z.B.Tanzen, euch betrinken, neben ihnen einschlafen etc.
- Inwiefern verhältst du dich anders, wenn du Alkohol getrunken hast? Versuchst du auf die gleiche Art Konsens zu finden, wie nüchtern?
- Wie reagierst du, wenn eine Person sich unwohl fühlt mit dem, was du tust, oder etwas nicht tun möchte?
- Fühlst du dich manchmal verpflichtet, Sex zu haben?
ℹ️ Begriffserklärungen
¹sexualisierte Gewalt: siehe Einleitung im Juli
²Sozialisation: Sozialisation ist demnach die Anpassung an gesellschaftliche Denk- und Gefühlsmuster durch Internalisation (Verinnerlichung) von sozialen Normen. Sozialisation ist ein sozialwissenschaftlicher Begriff.