Was ist eigentlich Männlichkeit? Ist Männlichkeit das, wie Männer halt sind? Oder das wie Männer sein sollen? Oder ist Männlichkeit einfach das, was nicht weiblich ist? Und definiert sich Männlichkeit durch die Überordnung von Männern über Frauen?
Es gibt viele unterschiedliche Ansätze, Männlichkeit zu definieren. Wie in der Einleitung schon angekündigt, soll es in diesem Monat um Raewyn Connells Konzept der hegemonialen Männlichkeit gehen. Um dieses zu verstehen und um darauf aufbauen zu können, möchten wir euch in diesem Text ihre Definition von Männlichkeit etwas näher bringen.
Denn so banal die Frage erstmal klingt, entpuppt sie sich als wichtiger Baustein, wie man Sexismus und Dynamiken im Patriarchat versteht. Spoiler: Es wird etwas kompliziert und das Verständnis vervollständigt sich noch über die folgenden Texte.
Connell definiert Männlichkeit wie folgt: “‘Männlichkeit’ ist – soweit man diesen Begriff in Kürze überhaupt definieren kann – eine Position im Geschlechterverhältnis; die Praktiken, durch die Männer und Frauen diese Position einnehmen, und die Auswirkungen dieser Praktiken auf die körperliche Erfahrung, auf Persönlichkeit und Kultur.”
Essentiell für Connell ist es anzuerkennen, dass Männlichkeit eine Position im Geschlechterverhältnis ist. Grundsätzlich geht es also darum, dass Männlichkeit Weiblichkeit übergeordnet ist. Ins Zentrum stellt Connell dabei aber nicht starre Charaktereigenschaften wie Stärke oder Risikobereitschaft, sondern die Praktiken, die dazu führen, dass Männer Frauen im Geschlechterverhältnis übergeordnet sind. Diese Praktiken können sich dabei je nach Umständen verändern und sich z.B. an die aktuellen gesellschaftlichen Normen anpassen. Was in bestimmten Kontexten evtl. körperliche Gewalt oder Demonstration von Stärke sein können, kann in anderen Redegewandtheit und emotionale Kompetenz sein und in wieder anderen vielleicht etwas ganz anderes. Wichtig ist, dass sich die Praktiken zwar ändern, ihre Wirkung aber immer bleibt, die Machtposition von Männern zu stärken. Laut Connell gehören die Auswirkungen dieser Praktiken aber genauso zur Männlichkeit wie die Praktiken selbst. Sie beeinflussen die Selbstwahrnehmung von Personen, sowie die Kultur und erzeugen so auch eine Wechselwirkung mit Männlichkeit selbst.
Mit ihrer Definition versucht sie bewusst die Schwächen und Lücken der bisherigen Definitionsstrategien aufzugreifen und zu füllen. Dabei bezieht sich Connell auf die vier üblichsten.
Einen von ihnen beschreibt sie als essentialistisch (von lateinisch essentia: „Wesen). Dabei wird ein vermeintlicher Wesenszug wie z.B. Risikofreudigkeit, Verantwortlichkeit, Unverantwortlichkeit oder Aggression herausgegriffen und als Grundlage genutzt, um das Leben von Männern zu erklären. Männer sind also z.B. risikofreudig und deshalb machen sie X oder Y. Dabei kritisiert Connell die Willkür bei der Wahl dieses einen Wesenszuges und dass dieser Ansatz die Komplexität von Männlichkeit nicht abdecken kann.
Genauso kritisiert Connell den Ansatz, Männlichkeit darüber zu definieren, wie Männer angeblich sind. Sie nennt es den positivistischen Ansatz. Positivismus ist grob gesagt eine philosophische Richtung, in der man sich auf tatsächliche, sinnlich wahrnehmbare und überprüfbare Befunde beschränkt. Im Definitionsansatz wird sich also angeschaut, wie sich Männer “wirklich” verhalten und daraus werden Fakten abgeleitet. Daraus wird dann eine Definition von Männlichkeit formuliert.
Das Problem hierbei ist, um die Fakten einem bestimmten Geschlecht zuweisen zu können, ja schon eine Vorstellung von Geschlechtern gegeben sein muss. Entsprechend bewertet Connell diesen Ansatz als widersprüchlich und kritisiert, dass die klare Einteilung keinen Raum für Vermischung und Uneindeutigkeit lässt.
Daraus folglich löst Connell ihre Definition von Männlichkeit von dieser Vorstellung und fokussiert sich auf die Position im Geschlechterverhältnis und die Praktiken, die diese herstellen.
Ähnlich ist es beim Ansatz, Männlichkeit darüber zu definieren, was Männer sein sollten. Connell nennt es den normativen Ansatz. Im Zentrum steht also die soziale Norm, der Männer gerecht werden sollten. Hier geht es z.B. um Bilder von Männern in Filmen wie beispielsweise das von James Bond.
Eines der Probleme bei dieser Definitionsstrategie ist z.B., dass eigentlich kein Mann dieser Norm gerecht wird. Daraus folgen widersprüchliche Fragen wie: “Wenn kein Mann dieser Norm gerecht wird, sind dann alle Männer unmännlich?”.
Die letzte Definitionsstrategie, die Connell kritisiert, nennt sie semiotische Ansätze (von griechisch semeion: ‚Zeichen‘). Hier werden symbolische Differenzen in männlich und weiblich eingeteilt und dann gegenübergestellt. Das heißt im Endeffekt, dass das, was weiblich ist, nicht männlich ist und umgekehrt. Connell fasst es wie folgt zusammen: “Männlichkeit wird im Endeffekt als Nicht-Weiblichkeit definiert.”
Sie kritisiert, dass dieser Ansatz die Persönlichkeitsebene ausblendet und nur sehr begrenzt anwendbar ist. Durch den Fokus auf die Abgrenzung lässt er z.B. nur sehr begrenzt Schlüsse zur Position von Männern und Frauen im Geschlechterverhältnis zu.
Diese vier Ansätze werden häufig kombiniert, um Lücken in der Erklärung zu schließen. Trotzdem bewertet Connell sie als unzureichend. Wie oben bereits erwähnt, nimmt sie diese Kritik zum Anlass, ihre eigene Definition von Männlichkeit zu formulieren. Sie selbst schreibt im Buch: “Statt zu versuchen, Männlichkeit als ein Objekt zu definieren (ein natürlicher Charakterzug, ein Verhaltensdurchschnitt, eine Norm), sollten wir unsere Aufmerksamkeit auf die Prozesse und Beziehungen richten, die Männer und Frauen ein vergeschlechtlichtes Leben führen lassen.”
Die Frage danach, was eigentlich Männlichkeit ist, mag erstmal banal scheinen. Connell macht mit ihrer Kritik und ihrer eigenen Definition aber deutlich, dass sie ein wichtiger Teil ist, wie wir Sexismus und Dynamiken im Patriarchat analysieren. Eine klare Definition, die das Geschlechterverhältnis und die Praktiken sowie die Auswirkung dieser beinhaltet, kann uns helfen, unsere Analyse Stück für Stück zu vertiefen und ein besseres Verständnis dafür zu entwickeln, was wir verändern müssen.