Trotz aller Fallstricke, Wiedersprüche und Verunsicherung, die Männlichkeitsarbeit so mit sich bringt, finden wir, dass es ein Teil von feministischer Praxis ist, sich mit (der eigenen) Männlichkeit auseinanderzusetzen. Es sollte allerdings nicht dabei bleiben! Und weil die Frage danach, wo man sich denn insbesondere als cis¹ Mann in feministischen Kämpfen sieht, mal wieder so ein heikles Thema ist, wollen wir hier am Ende des Monats noch einige Ideen zu feministischer Praxis geben. Dabei liegt hier der Fokus auf „strukturelleren“ Handlungen, die mehr im Hintergrund ablaufen, unsichtbar sind und möglicherweise nicht sofort lobende Worte und Anerkennung ernten. Dinge, die tatsächlich große Entscheidungen abverlangen, Arbeit, Zeit und Mut erfordern und von denen wir das Gefühl haben, dass sie oft zu kurz kommen in der Auseinandersetzung mit Männlichkeiten.
- Feministische Lebensentscheidungen treffen
- Viele Bilder davon, wie unsere Leben auszusehen haben, sind von patriarchalen² Vorstellungen geprägt. Vor allem in Bereichen wie Karriere und Familienplanung gilt es deswegen, auch mal konsequent zurückzutreten, oder Rollen zu übernehmen, die das Patriarchat nicht für einen vorhergesehen hat.
- Feministische Themen politisch machen
- Feministische Positionen sollten überall da einfließen, wo ihr in der Politik partizipiert. Das betrifft für diejenigen, die wählen können, die Wahlentscheidung, aber auch das Einbringen feministischer Perspektiven in Lokalpolitik, politischen Gruppen oder E-Mails an Abgeordnete.
- Bildungsarbeit im privaten Umfeld übernehmen
- Feministische Bildungsarbeit passiert nicht nur in Workshops. Auch wenn es immer wieder gesagt wird: bildet euch über queere/feministische Themen und sprecht mit eurem Umfeld darüber, macht den besten Freund auf Fehlverhalten aufmerksam und kritisiert den Onkel, wenn er Sexismus reproduziert. Bring feministische Themen auch gerade in die Räume, in denen es nicht auf der Tagesordnung steht.
- Erziehung und Vorbildfunktion
- Bilder von Heteronormativität und die Konstruktion von Männlichkeit und Weiblichkeit finden sehr viel – vor allem unbewusst – in der Erziehung statt. Bilde dich über internalisierte, ungleiche Behandlung von Kindern aufgrund des Geschlechts weiter und werde dir deiner Vorbildrolle als Elternteil/Bezugsperson bewusst.
- Ressourcen teilen
- Geld ist in unserer Gesellschaft eine wertvolle Ressource, über die viele Aktivist*innen nicht verfügen. Wer Geld hat, kann feministische Projekte und Kämpfe damit unterstützen.
- Powersharing
- Wer Machtpositionen (auf der Arbeit, in politischen Gruppen, in Vereinen,..) inne hat, kann aktiv in den Hintergrund treten und Raum für feministische Stimmen und Ideen lassen.
- „Aktiv werden“
- Gerade wenn es darum geht, feministischen Aktivismus zu machen, ist es wichtig, denjenigen, die von Sexismus betroffen sind und seit langer Zeit an vorderster Front kämpfen, nicht den Raum zu nehmen. Aber: es gibt viele weniger sichtbare Aufgaben, die auch gemacht werden müssen. Fragt aktiv nach, wo ihr euch einbringen könnt.
- Feminismus institutionalisieren
- In Vereinen, auf der Arbeit, in politischen Gruppen oder der Gemeinde gibt es verschiedene Möglichkeiten, eine feministische Praxis zu etablieren. Das kann zum Beispiel bedeuten, sich Konzepte zu überlegen, wie man Räume sicherer gestalten kann für Leute, die von patriarchaler Gewalt betroffen sind. Ein erster Schritt kann dabei überhaupt erstmal sein, Aufmerksamkeit für Themen wie sexualisierte Gewalt (und dass es überall dazu kommen kann!) zu schaffen oder sich für das Etablieren anonymer Beratungsstellen einzusetzen. Oft passiert sowas erst, wenn etwas vorgefallen ist und meistens lastet dann viel zu viel Arbeit auf denjenigen, die selbst patriarchale Gewalt erfahren haben oder schon lange dagegen kämpfen.
- Werdet kreativ
- Es gibt kein vorgeschriebenes Konzept, wie feministische Praxis denn nun aussieht. Also werdet kreativ, aber bleibt unbedingt im Austausch mit denjenigen, die von Sexismus betroffen sind.
Diese Liste ist natürlich nicht vollständig und soll es auch nicht sein. Es ist keine Anleitung, oder Checkliste wie man denn nun ein richtiger Feminist oder ein richtiger kritischer Mann ist. Das können und wollen wir hier auch nicht liefern.
Und bei allem gilt: Du wirst Fehler machen und du wirst es nicht perfekt machen können. Das sollte auch gar nicht der Anspruch sein. Es geht darum, Fehler einzusehen, kritikfähig zu bleiben und vor allem: dabei zu bleiben. Kritikfähigkeit lässt dich nicht im Selbstbild eines guten Feministen schwimmen, sondern sorgt für tiefe und ehrliche Auseinandersetzung mit dir und deinen Fehlern und gibt dir die Möglichkeit, immer dazuzulernen.
ℹ️ Begriffserklärungen
¹Cis-geschlechtlich/cisgeschlechtlich/cis-gender: Bei cis-geschlechtlichen Menschen entspricht die Geschlechtsidentität dem Geschlecht, das ihnen bei ihrer Geburt auf Grundlage der gesellschaftlichen Einordnung ihrer Genitalien zugewiesen wurde. (dissens)
²Patriarchat: Gesellschaftsordnung, die dem Mann eine bevorzugte Stellung in Gesellschaft und Familie einräumt.
³Heteronormativität: Kultur und gesellschaftliche Struktur, die davon ausgeht, es sei ‚normal‘ und wünschenswert, sich gemäß biologisch definierter körperlicher Merkmale zweifelsfrei einem der zwei normalisierten Geschlechter (männlich oder weiblich) zuzuordnen und das jeweils andere dieser beiden Geschlechter zu begehren, mit ihm Liebesbeziehungen und Sexualität zu leben, langfristig Kinder zu zeugen und in einer Familie zusammenzuleben und dabei auch auf der Verhaltens- und Arbeitsteilungsebene, in Bezug auf Intimität und Sexualität etc. Geschlechternormen zu erfüllen. Diese Normativität wird damit begründet, der Sinn von Geschlecht und Sexualität sei die biologische Fortpflanzung (alternativ: gottgewollt). Allen, die nicht in diese Schablonen passen, widerfährt in einer heteronormativen Gesellschaft Diskriminierung. (dissens)
⁴Sexualisierte Gewalt: Was wir meinen, wenn wir von sexualisierter Gewalt schreiben, könnt ihr in unserem ersten Text im Juni 2022 nachlesen.