“Kritische” cis Männer, die am Ende nur im Weg rumstehen

Ich bin so ein richtig kritischer Mann. So einer, der im Bus die Beine eng zusammenstellt, den Müll runterbringt, Familienmitglieder pflegt, wenig sichtbare Aufgaben übernimmt, über seine Gefühle spricht und manchmal sogar weint. Mehr sogar noch. Ich beschäftige mich mit Themen wie intersektionalem¹ Feminismus oder sexualisierter Gewalt, gebe Workshops, versuche Strukturen für Betroffene aufzubauen und schreibe Texte für diesen Kalender.  Auf der ausgesprochenen oder unausgesprochenen Checkliste für einen kritischen cis² Mann habe ich quasi alles abgehakt. Ein richtiger Care-Bär also. Die Welt ist in Ordnung.

Wäre da nur nicht dieses nervige Ding, das sich Realität nennt. Dieses Ding, das leider nicht so eindeutig ist, wie der theoretische Inhalt aus den Workshops. Dieses Ding, bei dem es mir leider auch relativ wenig bringt, mir einzureden, dass Unsicherheit ja etwas Gutes ist. Dieses Ding, das die Abschaffung der Kategorie Geschlecht und damit auch Männlichkeit dann doch gar nicht mehr so gut greifbar macht, wie in den tollen kritischen Texten beschrieben.

Diese kritische Auseinandersetzung mit Männlichkeiten bedeutet dann oft folgendes: Zustimmen, Wiedergeben und vor allem das tun, was feministische Autor*innen schreiben und FLINTA*³ in meinem Umfeld sagen und einfordern. (In erster Linie ist das ja auch großer Bestandteil von dem, was sie einfordern und hat mich das ja erst hier her gebracht.)

Trotzdem offenbart sich eine Problematik, die ich bei vielen “kritischen” cis Männern in meinem Umfeld sehe. Sobald keine FLINTA*³ da sind, die sagen was zu tun ist oder niemand die Universallösung aus dem Lieblingspodcast parat hat, stehen wir da und machen: nichts.  Wir sind aufgeschmissen, drehen uns um uns selbst und fühlen uns hilflos. Warum muss eigentlich immer alles so schwierig sein? Auf einmal haben wir doch alle furchtbare Angst etwas falsch zu machen. Unser Selbstbild als kritische Männer könnte ja Kratzer bekommen.
Besonders häufig passiert das, wenn es wirklich mal darum geht etwas zu machen, anstatt nur schlau im luftleeren Raum rumzudiskutieren. Gleiches passiert auch häufig im Umgang mit Übergriffen oder sexualisierter Gewalt. Am Ende sind es FLINTA*³, die den Scherbenhaufen zusammenkehren und dafür sorgen, dass überhaupt irgendwas passiert.

Genauso schwierig wird es bei Themen, bei denen sich eben nicht “alle” einig sind. Was mache ich, wenn eine cis² Frau in meinem Umfeld transfeindlich⁴ ist? Wie gehe ich damit um, dass die Auseinandersetzung mit Feminismus in meinem Umfeld vor allem aus weißer, wohlsituierter Perspektive erfolgt? Oder noch schlimmer: Wie gehe ich damit um, dass die Ansicht, die ich einfach nachgeplappert habe oder die Verhaltensweise, die ich einfach übernommen habe in einem anderen FLINTA*³-Umfeld kritisiert wird? Vor allem, weil FLINTA*³ keine homogene Gruppe sind, auch wenn das im neuen binären Narrativ häufig so klingt. Mein Wunsch danach eine “einfache” Antwort zu bekommen, sollte mich nicht dazu bringen zu ignorieren, dass es in diesen Gruppen sehr viele Perspektiven und Konflikte geben kann und es nicht die eine universal gültige “FLINTA*³-Meinung” gibt.

Trotzdem passiert dann oft folgendes: Ich werde zu genau dem, was Bilke Schnibbe in einem Text als “kritische Man-Babys“ beschreibt. Hilflosigkeit im Gewand der kritischen Männlichkeit. Solange bis eine FLINTA*³-Mami5 kommt und mich da raus holt.

Aus meiner Sicht werde aber ich und auch kein anderer cis² Mann drumherumkommen eine eigene Meinung zu feministischen Themen aufzubauen, diese auch zu vertreten und entsprechend zu handeln. Essentiell ist es dabei sich regelmäßig zu hinterfragen, Kritik anzunehmen und in die Tat umzusetzen. Das darf kein Freifahrtschein für Mansplaining oder für das Ignorieren der Erfahrungen von Betroffenen sein. Vielmehr muss es der Anfang vom Ende der Kategorie Geschlecht sein. Ansonsten bleiben kritische Männer nur Man-Babys, die am Ende eher im Weg rumstehen, als dass sie helfen.

ℹ️ Begriffserklärungen

¹intersektional: siehe Türchen 18

²Cis-geschlechtlich/cisgeschlechtlich/cis-gender: Bei cis-geschlechtlichen Menschen entspricht die Geschlechtsidentität dem Geschlecht, das ihnen bei ihrer Geburt auf Grundlage der gesellschaftlichen Einordnung ihrer Genitalien zugewiesen wurde. (dissens)

³FLINTA*: Frauen, Lesben, Inter Menschen, Nicht-binäre Menschen, Trans Menschen, Agender Menschen. Der * Stern weist auf die Konstruiertheit der Kategorien hin und schließt Personen ein, die sich selbst nicht in eine der genannten Kategorien einordnen oder (mit-) gemeint sind. Es ist ein Sammelbegriff für Menschen, die vom Patriarchat unterdrückt werden und/oder patriarchale Gewalt erleben.

⁴transfeindlich: Transfeindlichkeit bezeichnet die Diskriminierung von trans Menschen. Dies äußert sich z.B. durch Ablehnung, Wut, Intoleranz, Vorurteile,  Unbehagen oder körperliche bzw. psychische Gewalt gegenüber trans Personen oder Menschen, die als trans wahrgenommen werden. (queer lexikon)

⁵FLINTA*-Mami: In meinem Fall ist damit eine Person gemeint, die mir sagt, was ich tun soll und mich damit von der Verantwortung befreien soll, mir selbst eine Meinung zu bilden. Sie soll damit die Deutungshoheit übernehmen.

➡Empfehlungen

Kritische Man-Babies von Bilke Schnibbe über hilflose Gehversuche linker Männer beim Umgang mit sexualisierter Gewalt