Feminist aus Überzeugung

Letztens hat mich eine Freundin gefragt, warum ich eigentlich so “feministisch” sei. Es lag mir direkt auf der Zunge: Aus Überzeugung! Ich möchte diese Welt zu einer besseren machen und Gerechtigkeit ist fest in meinen Werten verankert. Dazu gehört eben auch feministisch zu sein.
Diese Intention fühlt sich gut an. Sie fühlt sich richtig an. Denn ein richtiger Feminist tut das aus Überzeugung, es ist eine Haltungsfrage!
Warum ich wirklich mein Verhalten reflektiere, feministische Positionen vertrete und nach ihnen handle, fällt mir schwer, ehrlich zu beantworten. Muss ich mir dann doch eingestehen, dass es gar nicht immer um Gerechtigkeit und Haltung geht?

Feminist*innen, die in Freund*innengruppen, Schule oder Uni mindestens mal eine Positionierung von cis¹ Männern einforderten, waren der Hauptgrund, warum ich überhaupt mit Feminismus in Kontakt gekommen bin. Und dass FLINTA² täglich Arbeit hineinstecken, dies in politischen Räumen oder engen Beziehungen weiterhin zu tun, sorgt überhaupt dafür, dass ich das weiter verfolge.
Genau hier kann ich nämlich auch Anerkennung und Wertschätzung erhalten. Besondere Sensibilität und theoretische Kenntnisse geben mir den Status “einer von den Guten” zu sein. Natürlich fühlt sich das gut an. Feministisch handeln, um gelobt zu werden, sorgt in erster Linie für oberflächliche Auseinandersetzung, die vor allem sichtbar sein soll. Und im Endeffekt leisten FLINTA* wieder die Hauptarbeit im Hintergrund.

Doch die Auseinandersetzung mit Sexismus und Männlichkeit sorgt bei mir außerdem für unangenehme Gefühle wie Schuld und Scham. So suche ich wohl auch Zuflucht in eine Identität ohne Täterschaft oder Schuld. Ich will nicht mehr Teil des Problems sein, ich will manchmal besser sein als “die anderen”, als “die Sexisten”. Das kann schnell dazu führen, dass ich mich über andere stelle oder in Konkurrenz trete. Und dann haben wir am Ende doch nur alte Männlichkeitsdynamiken statt feministischer Praxis.
Gleichzeitig habe ich erkannt, dass das Geschlechtersystem ja auch mir etwas antut, indem ich z.B. an Männlichkeitsanforderungen³ leide. Irgendwie ist dann ja auch klar, dass ich das ändern will, um so zu leben, wie ich es möchte. Das wird genau dann gefährlich, wenn ich meine Verletzung auf eine Ebene mit systematischer Unterdrückung, Gewalt und Abwertung von FLINTA* stelle. Das Thematisieren dieser Verletzung ist wichtig, aber nimmt zu oft genau da zu viel Raum ein, wo es eigentlich um die Unterdrückung von FLINTA* im Patriarchat geht.

Zuletzt habe ich ein starkes Bedürfnis, dass es geliebten Menschen gut geht. Und je mehr mir FLINTA* ihre Geschichten und von ihrem Schmerz erzählen, desto mehr will ich etwas dagegen tun. Mitleid, Wut und Traurigkeit begründen dann die Auseinandersetzung mit Sexismus und meinem eigenen sexistischen Verhalten.
Aber einerseits kann es nicht sein, dass FLINTA* immer wieder ihre Erfahrungen teilen “müssen”, damit ich merke, was abgeht. Und andererseits kann das bedeuten, nur für mein direktes Umfeld feministisch zu handeln – für die, die mir wichtig sind. Das kann schnell dazu führen, dass andere Unterdrückungsformen reproduziert werden, z.B. wenn  hauptsächlich die Diskriminierungserfahrungen weißer, heterosexueller Frauen die Grundlage meines Feminismus bilden.

Das wirkt ja dann doch nicht so nach tiefster Überzeugung, wie ich es gerne hätte. Und so sehr ich auch an diesem Anspruch – und meinem Selbstbild – festhalte, sollte ich mir doch vielleicht einfach eingestehen, dass ich an ihm scheitere.
Mein Anspruch sollte nicht sein, hier aus tiefstem Gerechtigkeitssinn zu handeln, den ich mir letztendlich ja auch selbst zurecht lege. Vielmehr sollte ich mir immer wieder die Frage stellen, warum ich es tue. Dadurch erkenne ich, wann mein Feminismus oberflächlich ist, ich damit Männlichkeit reproduziere, die Aufmerksamkeit von feministischen Kämpfen lenke, ich andere Unterdrückungssysteme ignoriere oder es eigentlich nur um mich geht.

❓Reflexionsfragen

  • Aus welchen Gründen setzt du dich mit Feminismus auseinander? Aus welchen Gründen mit anderen Kämpfen gegen Unterdrückung und Ungerechtigkeit?
  • Was für einen Einfluss hat es, wenn du selbst davon betroffen bist?
  • Hast du schon einmal länger darüber nachgedacht, wieso du feministsisch handelst und dir überlegt, für wen du das machst und wer im Mittelpunkt steht?
  • Merkst du auch, dass du an deinen eigenen Ansprüchen scheiterst?
  • Wer profitiert von deinem Feminismus?

ℹ️ Begriffserklärungen

¹Cis-geschlechtlich/cisgeschlechtlich/cis-gender: Bei cis-geschlechtlichen Menschen entspricht die Geschlechtsidentität dem Geschlecht, das ihnen bei ihrer Geburt auf Grundlage der gesellschaftlichen Einordnung ihrer Genitalien zugewiesen wurde.

²FLINTA*: Frauen, Lesben, Inter Menschen, Nicht-binäre Menschen, Trans Menschen, Agender Menschen. Der * Stern weist auf die Konstruiertheit der Kategorien hin und schließt Personen ein, die sich selbst nicht in eine der genannten Kategorien einordnen oder (mit-) gemeint sind. Es ist ein Sammelbegriff für Menschen, die vom Patriarchat unterdrückt werden und/oder patriarchale Gewalt erleben.

³Männlichkeitsanforderungen: Gesellschaftliche Bilder und Erwartungen davon was männlich ist und wie Jungen und Männer sich angeblich verhalten oder verhalten sollen: Was sie mögen, wie sie auftreten, was sie können, rundum: was typische für sie ist. Alle die als Jungen oder Männer anerkannt werden wollen, müssen sich mit diesen Anforderungen auseinandersetzen