Emotionale Arbeit in alltäglichen Situationen

Anmerkung: Dieser Text ist ein Auszug mit drei von fünf Beispielen aus einem Kapitel aus dem Zine “Who Cares – Wer sorgt sich hier um wen?” von den Patriarchat Zerschmetterlingen (Instagram: @patriarchat_zerschmetterlinge).

Emotionale Arbeit findet in vielen kleinen, alltäglichen Situationen statt. Wer reflektiert die eigenen Beziehungen? Wer fühlt sich dafür verantwortlich, etwas anzusprechen? Wer sorgt sich, übernimmt den Emotional Load? Um Emotionale Arbeit sichtbar zu machen, haben wir beispielhaft fünf Dialoge vorbereitet, in denen eine ungleiche Verteilung von Emotionaler Arbeit stattfindet.
Diese Dialoge sollen als lebensnahe Beispiele dienen, um Emotionale Arbeit sichtbar zu machen und darüber nachzudenken: Wo findet Emotionale Arbeit statt? Im zweiten Schritt kann reflektiert werden, inwiefern die Emotionale Arbeit ungleich verteilt wurde: Warum ist diese Situation ungerecht?
Unsere Antworten auf diese Fragen in Bezug auf die Dialoge haben wir am Ende des Textes zusammengefasst. Da es jedoch keine eindeutig richtigen Antworten auf die Fragestellungen gibt, haben unsere Anmerkungen keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es können auch andere Antworten möglich sein. 

Überforderung

Loris und Quinn sind in einer romantischen, monogamen Beziehung. Loris beichtet Quinn, dass dey fremdgegangen ist. Dabei ist Loris sehr niedergeschlagen und verliert sich in den eigenen, negativen Gefühlen.

Loris: Schatz, es tut mir wirklich leid, dass ich fremdgegangen bin. Es war zwar nur ein Kuss, aber ich fühle mich trotzdem schrecklich.

Quinn: Ein Kuss reicht leider schon. Mein Vertrauen ist echt angeknackst. Wie kann ich denn in Zukunft darauf vertrauen, dass das nicht wieder passiert? Diese Gedanken machen mich total verrückt.

Loris: Ich weiß, ich würde mir ja auch nicht mehr vertrauen. Ich weiß wirklich nicht, was in meinem scheiß Kopf los war. Es ist mir ein Rätsel, wie ich das tun konnte. Mir gehts damit ja selbst super scheiße! Ich bin emotional voll in einem Loch seitdem.

Quinn: Ja, es ist für uns beide eine harte Zeit. Ich fühle mich echt verarscht von dir…

Loris: (unterbricht) Ja ich weiß, du musst dich so scheiße fühlen. Ich bin so ein Arschloch. Warum bist du noch so nett zu mir nach meinem schrecklichen Verhalten? Ich verdiene es nicht, dass du jetzt noch mit mir redest.

Quinn: Hey du, dich selbst so fertig zu machen ist total unkonstruktiv. Ja, du hast einen Fehler gemacht. Aber deshalb bist du doch noch kein schlechter Mensch! Ja, du hast mich sehr verletzt. Aber lass uns doch daraus etwas für unsere Beziehung lernen! Wie können wir unser Vertrauen wieder aufbauen?

Loris: Nur wegen mir müssen wir jetzt so leiden. Es ist meine Schuld. Du hast wen Besseres verdient als mich! Ich sollte für immer Single bleiben.  

Hahn im Korb

Maris und Klaus (cis-Männlich) haben sich eben auf einem Dancefloor kennengelernt. Jetzt stehen beide zusammen an der Bar und quatschen. Klaus und Maris reden Small-Talk über belanglose Sachen.

Klaus: Mega schön, dass wir uns hier kennengelernt haben! Ich liebe es mit random Leuten zu quatschen. Das ist echt meine Lieblingsbeschäftigung auf Festivals.

Maris: Ja, voll! Gefühlt könnten wir hier jetzt stundenlang rumstehen und über alles Mögliche philosophieren.

Klaus: Ey, da muss ich dir was erzählen. Ich habe gestern mit meiner Mama telefoniert und dabei geweint.

Maris: (überrascht) Oh nein.. Warum musstest du denn weinen?

Klaus: Ach, es ist gerade echt kompliziert. Meine Oma, also die Mutter meiner Mama, ist vor einem Monat gestorben und jetzt fällt gefühlt die ganze Familie auseinander. Also seit Jahren gibt es schon diesen schwelenden Konflikt zwischen den Geschwistern, aber jetzt wo die Mutter gestorben ist, kocht das ganze wieder auf. … (erzählt den Konflikt)

Maris: (hört zu)

Klaus: Hast du da einen Tipp für mich? Mit meinen Männer-Freunden hier auf dem Festival kann ich einfach nicht so gut darüber reden.  

a person is an island (ein Mensch ist eine Insel)

Julier und Sidney haben eine Freund*innenschaft Plus. Sidney fühlt sich schon länger nicht mehr so wohl mit der Situation, hat dies aber noch nie zuvor angesprochen. Nach einem weiteren unbefriedigenden Treffen beschließt Sidney, die Freund*innenschaft Plus zu beenden.

Sidney: Hey Julier, ich möchte unsere Freund*innenschaft Plus beenden. Darüber habe ich schon super lange nachgedacht, aber jetzt ist die Entscheidung für mich getroffen.

Julier: (überrascht) Oh, das kommt für mich jetzt aber plötzlich. Ich wusste gar nicht, dass dich was an unserer Beziehung stört!

Sidney: Das ist nichts Neues. Es ist immer wieder dasselbe: jedes Mal wenn wir miteinander schlafen, bist du danach immer so abwesend und willst häufig auch gleich los. So hatte ich mir das einfach nicht vorgestellt!

Julier: (überrascht) Okay, gut, das mal von dir zu hören! Mir war nicht bewusst, dass dich das stört. Eigentlich mag ich Kuscheln auch total gerne.. Ich hatte es so verstanden, dass wir uns nur für casual Sex verabreden wollen und dass Kuscheln nicht dazu gehört?

Sidney: Ne, das hatten wir nie so abgemacht. Aber das ist jetzt ja auch egal, ich will so auf jeden Fall nicht weitermachen. Lass uns gerne einfach Freund*innen bleiben.

Julier: (enttäuscht) Schade. Ich möchte unsere Abmachung sehr gerne und habe die Zeit mit dir immer genossen. Und über das Kuscheln hätten wir doch reden können!

Sidney: Ich will nicht, dass du dich für mich änderst. Es passt einfach nicht. Lass uns das doch so akzeptieren.  

Unsere Antworten

Überforderung:

Loris hat Quinn betrogen und dey damit verletzt. Das ist eine schmerzhafte Situation für beide, jedoch trägt Loris die Verantwortung, dass es dazu gekommen ist. Es wäre angebracht, dass Loris sich zurückhält und Quinn den Raum gibt, um deren Gefühle auszudrücken. Jedoch dreht sich das Gespräch schnell um die Gefühle von Loris, was Quinn in die unangenehme und anstrengende Situation versetzt, sich um Loris zu kümmern (Emotionale Arbeit). Es findet keine Auseinandersetzung über den eigentlichen Konflikt statt. Auch in dieser Situation ist es legitim, dass Loris sich in den eigenen negativen Gefühlen verliert. Jedoch sollte nicht Quinn die Person sein, die Loris auffängt.  

Hahn im Korb:

Klaus hat das Bedürfnis, über die Situation mit seiner Familie zu sprechen. In dem Gespräch mit Maris spricht Klaus dieses sensible Thema ungefragt an. Maris hat praktisch keine Möglichkeit, sich dem Gespräch zu entziehen und hört Klaus zu (Emotionale Arbeit). Klaus verschafft sich emotionale Erleichterung, ohne Maris Kapazitäten zu berücksichtigen. Dabei ist Klaus nicht allein und hätte die Möglichkeit, mit den eigenen Freunden über diesen Konflikt zu sprechen. Jedoch bevorzugt Klaus das Gespräch mit einem Nicht-Mann. Diese Dynamik reproduziert vorherrschende Rollenbilder und zwingt nicht-cisMänner dazu, unbezahlt Arbeit zu leisten. 

a person is an island:

Sidney fühlt sich seit längerer Zeit nicht mehr wohl in der Beziehung zu Julier. Doch diesen Konfliktpunkt macht Sidney lieber mit sich selbst aus, dey möchte Julier nicht damit belasten (fehlende Emotionale Arbeit). Die Konsequenz: die negativen Gefühle haben sich aufgestaut und in Sidney geschwellt, bis es zu dem Entschluss der Trennung kam. Dabei hätte es nicht so weit kommen müssen, denn in der Auseinandersetzung mit Julier hätten beide womöglich eine Lösung gefunden. Diese Chance hat Julier aber nicht bekommen, dey wurde vor vollendete Tatsachen gestellt. Letztlich hat Sidney sich selbst nicht verletzbar machen wollen und der Beziehung die Möglichkeit genommen, von beiden Seiten aktiv gestaltet zu werden. Hier schwingt auch die Erwartung mit, dass Beziehungen „einfach“ funktionieren sollten. Das bedeutet aber oft, dass eine Partei die Gefühle der anderen Person vorausahnen und erfüllen müsste (emotionale Arbeit), ohne dass Gespräche und Anstrengung von beiden Seiten investiert werden.