Strategien für gerecht verteilte Emotionale Arbeit

Anmerkung: Dieser Text ist ein Auszug aus dem Zine “Who Cares – Wer sorgt sich hier um wen?” von den Patriarchat Zerschmetterlingen (Instagram: @patriarchat_zerschmetterlinge).

Dass Emotionale Arbeit so ungleich verteilt ist und Menschen sich unterschiedlich stark dafür verantwortlich fühlen, ist kein unveränderlicher Zustand. Um eine Veränderung zu bewirken, braucht es unserer Ansicht nach Sichtbarkeit, Wertschätzung und bewusstes Planen und Nachdenken.

Sichtbarkeit. Vor allem durch Sprache und Vokabular – Nur wenn überhaupt benannt werden kann, was Menschen an Gefühlsarbeit leisten, können andere diese auch übernehmen.

Wertschätzung. Emotionale Arbeit darf nicht mehr als selbstverständlich angenommen oder mit Liebe gleichgesetzt werden. Sie muss als zwingende Voraussetzung aller Seiten für zwischenmenschliche Beziehungen gelten.

Bewusstes Planen und Nachdenken. Häufig fehlt noch Erfahrung darin, Emotionale Arbeit zu leisten, aber auch darin, diese vom gegenüber einzufordern. Das zu reflektieren und gemeinsame Lösungen, sowie regelmäßige Verabredungen zum Reden zu entwickeln, kann aber viel helfen.

Auf den folgenden Seiten beschreiben wir mögliche Strategien für eine gerechter verteilte und nachhaltiger gestaltete Emotionale Arbeit. Natürlich ist die Liste nicht vollständig und ihr könnt weitere Ideen ergänzen!

Eigene Emotionen reflektieren

Um Emotionale Arbeit in einer Beziehung leisten zu können, müssen einem selbst die eigenen Gefühle und Bedürfnisse bewusst sein. Dies passiert nicht automatisch, sondern ist ein aktiver Teil von Emotionaler Arbeit. Wenn das schwer fällt, nimm dir am besten bewusst Zeit, um deine Emotionen und Beziehungen, die du führst, zu reflektieren.
Mögliche Fragestellungen sind:

  • Wie geht es mir aktuell mit meinen Beziehungen?
  • Was fühlt sich gut an? / Was fühlt sich nicht so gut an?
  • Welche Bedürfnisse habe ich? Werden diese erfüllt?

Sich selbst und die eigenen Beziehungen zu reflektieren ist keine einmalige Angelegenheit, sondern sollte idealerweise regelmäßig im Alltag stattfinden. 

Bewusste Verabredungen für Emotionale Arbeit

Wenn möglich vorher die Themen kommunizieren, so haben alle Beteiligte genügend Zeit, um sich dazu Gedanken zu machen. 

  • Zeitlimit setzen, um konzentriert und emotional verfügbar zu bleiben. z.B. nur für eine Stunde reden und wenn nötig auf ein weiteres Treffen verschieben 
  • Auch regelmäßig möglich (z.B. 1x im Monat), so wird automatisch ein Raum geschaffen, in dem die Beziehung regelmäßig reflektiert wird:
    • Wie geht es mir aktuell in der Beziehung? 
    • Was fühlt sich gut an? / Was fühlt sich nicht so gut an? 
    • Welche Bedürfnisse habe ich? Werden diese erfüllt? 
    • Was würde ich mir wünschen für die Zukunft? Was kann ich ändern? 
    • Was kann die andere Person ändern? 
  • In Kombination mit Gesprächstechniken
    • Paraphrasieren und Nachfragen 
    • Gewaltfreie Kommunikation etc.

Konsens

Wie kann Emotionale Arbeit einvernehmlich stattfinden?
1. Möglichkeit:

  • Eine Person hat dir frei und ohne Zwang angeboten, Emotionale Arbeit zu leisten (z.B. „Magst du mit mir reden? Ich höre gerne zu.“)

2. Möglichkeit: 

  • Frage nach! Wichtig dabei ist: 
  • Stelle keine Ja-Nein-Frage, denn das kann Druck auf die andere Person ausüben. Ein Positivbeispiel wäre z.B.: „Etwas ziemlich Krasses ist bei der Arbeit passiert, über das ich gerne sprechen möchte. Wenn du gerade in der Lage bist, davon zu hören, lass es mich wissen, aber wenn nicht, verstehe ich das vollkommen.“ 
  • Formuliere so konkret wie möglich, was genau dein Bedürfnis ist und welche Art der Emotionalen Arbeit dir guttun würde. z.B. „Ich habe eine wirklich schwierige Woche und es wäre hilfreich, wenn jemand zu mir kommt. Ich möchte aber nicht über Dinge reden. Klingt das nach etwas, das du tun kannst? Wenn nicht, keine Sorge, ich frag dann noch bei anderen.“

Fürsorgenetzwerk schaffen

Jede Person braucht Unterstützung von anderen Personen, denn uns allen geht es mal nicht so gut. Das ist sehr menschlich.
Leider ist es insbesondere in Krisensituationen besonders schwierig, auf andere Leute zuzugehen und nach Hilfe zu fragen. Dann ist es naheliegend, sich nur an eine nahestehende Vertrauensperson zu wenden (z.B. Partner*in). Allein für eine Person da zu sein ist jedoch viel Verantwortung und kann großen Druck aufbauen. Es ist sehr hilfreich, sich schon vor einer Krise bewusst zu machen, welche Personen Unterstützung anbieten würden und wie diese aussieht. Erstelle eine Liste von Personen, mit denen du über deine emotionalen Themen sprechen möchtest. Informiere diese Personen darüber und besprecht, welche Unterstützung ihr euch in einer möglichen Krise bieten könnt. Auf dieser Liste sollten nicht nur FLINTA*s stehen!
In der Not ist somit klar, wer für dich da ist. Und alle beteiligten Personen können auf ihre Kapazitäten Rücksicht nehmen, denn es gibt nie nur eine Person, die da ist. 

Wertschätzung zeigen

Emotionale Arbeit findet ständig und überall in unserem Alltag statt und wir alle profitieren davon. Trotzdem werden diese Tätigkeiten meist nicht als Anstrengung anerkannt und durch die Empfindung der Selbstverständlichkeit unsichtbar gemacht. Um Emotionale Arbeit gerecht zu verteilen, müssen wir diese schätzen lernen und uns bewusst werden, inwiefern wir durch Emotionale Arbeit Unterstützung erfahren.
Möglichkeiten, Emotionale Arbeit wertzuschätzen:

  • Bedanke dich bei der Person, die Emotionale Arbeit für dich geleistet hat! (Insbesondere, wenn eine Person ein Problem angesprochen hat)
  • Benenne ganz konkret, was dir geholfen hat.
  • Teile deine Wertschätzung auch mit deinem Umfeld und mache sichtbar, wie andere Personen dich unterstützen.
  • Biete selbst Emotionale Arbeit an.
  • Erweitere deine Fähigkeiten an Emotionaler Arbeit und bilde dich weiter

Emotionale Arbeit aktiv einfordern

Idealerweise sollte es nicht dazu kommen, dass eine Person gezwungen ist, Emotionale Arbeit einzufordern. Jedoch ist dies praktisch oft notwendig.
Für gerecht verteilte Emotionale Arbeit ist die Eigeninitiative vom Gegenüber ein Muss. Also kannst du diese auch einfordern: die Person sollte sich auch über die Beziehung Gedanken machen, z.B. mit diesen konkreten Fragen:

  • Was schätzt und magst du eigentlich an mir als Person – warum bist du mit mir befreundet?
  • Was konkret schätzt du an unserer Freund*innenschaft – was ist dir an unserer Beziehung wichtig?
  • Gibt es etwas, was dir in unserer Freund*innenschaft fehlt? Wie könnten wir es gemeinsam angehen, diese Leerstelle(n) zu füllen?

Streiken

Emotionale Arbeit leisten zu können ist eine großartige Fähigkeit. Diese Arbeit ist wertvoll und wichtig; wir brauchen mehr davon und nicht weniger.
Warum sollte es also sinnvoll sein, Emotionale Arbeit zu bestreiken? Leider wird die Anstrengung, wenn Emotionale Arbeit geleistet wird, in der Regel nicht anerkannt und bleibt somit unsichtbar. Etwas zu bestreiken, was andere für selbstverständlich halten, hilft Sichtbarkeit zu schaffen.
Wenn Emotionale Arbeit auf einmal nicht mehr gemacht wird, dann fällt das auf. Die Gewerkschaft für Emotionsarbeitende (GEA) ruft jedes Jahr im Monat vor dem 8. März (feministischer Kampftag) zum Streik auf.