Ich wollte letztens nach längerer Zeit wieder intim mit einer anderen Person werden und fing an, mich in diesem Kontext mehr mit dem Thema Konsens zu beschäftigen. Unter Intimität verstehe ich hier Umarmungen, Händchenhalten, Kuscheln, Küssen, sexuelle Handlungen und Sex. Mir hat das Konzept von “Ja heißt Ja” eine gewisse Sicherheit versprochen, dass keine Grenzen überschritten werden. Das klingt erstmal simpel. Ich frage halt, bevor was Neues gemacht wird. Relativ schnell fand ich mich mit meinen verinnerlichten Handlungs- und Denkmustern zu Intimität konfrontiert. Dazu gehört, wer welche Rollen und Aufgaben übernimmt und wie (miss)kommuniziert wird. Vermittelt wurden mir diese “Skripte” durch Filme, Pornos, Werbung, etc. Sie zeigten mir ein vermeintlich erstrebenswertes Verhalten. So gesehen war diese Art von Intimität einfach, erprobt und grenzüberschreitend. Durch explizite Fragen wollte ich versuchen, mich von diesen Skripten zu lösen.
Während intimen Momenten sind für mich zwei Fragen sehr präsent: Möchte ich diese Berührung initiieren? und: Möchte mein*e Partner*in so berührt werden?
Früher habe ich intime Berührungen mit dem Hintergedanken initiiert, dass es der “richtige Moment” sei und es gut ankomme. Ich war mir dabei aber auch immer etwas unsicher, weil ich Angst davor hatte, “Zeichen” falsch einzuschätzen. Insgesamt habe ich auch mit dieser Unsicherheit ganz im Sinne meiner verinnerlichten Skripte gehandelt, gedacht und mich damit auch grenzüberschreitend verhalten. Viel zu spät habe ich mich selbst und meine*n Partner*in gefragt, was sich wirklich gut anfühlt. Das hat mich viel Überwindung gekostet und Vieles geht mir weiterhin mühsam über die Lippen, jedoch ist mir dadurch auch ein erster Bruch mit den Skripten gelungen.
Werde ich gefragt, ob ich auf eine bestimmte Weise berührt werden möchte, springt manchmal ein Gedankenkarussell an. “Fühlt sich das gut für mich an?” “Möchte ich das gerade wirklich?” “Fühle ich mich wohl genug bei der Person dafür?” Da keine Entscheidung auch ein Nein bedeutet, finde ich das manchmal total schwierig und bin überfordert. Mir hilft es, solche Unsicherheiten im Voraus anzusprechen und zu kommunizieren, dass ich manchmal für eine Antwort etwas länger brauche.
Es gibt jedoch auch Situationen, in denen ich mir sehr sicher bin, dass ich etwas nicht möchte und die Kommunikation entpuppt sich als die größere Hürde, als meine Entscheidungsfindung. Wie sage ich, dass ich etwas nicht (jetzt/nochmal) machen möchte, ohne meine*n Partner*in zu verletzen? Zerstöre ich mit meinem Nein die ganze “Stimmung”? Meiner Erfahrung nach ist es verdammt scheiße, wenn ich Nein sagen wollte, es mich aber nicht getraut habe und dann meine Grenzen überschritten wurden. Deshalb versuche ich, in intimen Momenten nachzufragen und sowohl vorher als auch nachher darüber zu sprechen.
Ich glaube, diese komische “Stimmung” geht übrigens mit den Skripten Hand in Hand, um sexistische Machtstrukturen aufrechtzuerhalten, indem es ein grenzüberschreitendes Verhalten vereinfacht. Sie zerbricht ja besonders schnell, wenn von den Skripten abgewichen und z.B. nach Einvernehmlichkeit gefragt wird. Wenn diese “Stimmung” dann mal durch eine Frage oder ein Nein verfliegt, finde ich das inzwischen okay. Stattdessen versuche ich, das umzudrehen und meine Stimmung stärker von dem Gefühl von Einvernehmlichkeit abhängig zu machen. Statt die Stimmung zu zerstören, sind Fragen und Absprachen dann nämlich genau ihre Grundlage.
In intimen Momenten hadere ich aktuell jedoch weiterhin mit dem Fragen. Es fühlt sich teilweise so viel leichter an, einen Schritt zu machen, ohne zu fragen. Ich versuche dabei zu beachten, wie schwer es für mein*e Partner*in sein kann, “Nein” zu sagen, erst recht mit bestimmten Erfahrungen und Perspektiven. Erstaunlich angenehmer wird es für mich durch ein vorheriges Gespräch über das Konzept “Ja heißt ja”. Dabei ist mir wichtig, dass gegenseitig Bedürfnisse, Unsicherheiten und Schwierigkeiten kommuniziert werden.
❓Reflexionsfragen
- Wie weißt du, welche Intimität für dich in einem Moment okay ist?
- Was erschwert dir, in intimen Momenten zu fragen: “Darf ich … machen?”
- Wie kommunizierst du, wenn du etwas nicht magst, (es aber nicht aussprechen möchtest)?
- Woher kommt die gespürte Sicherheit, es sei okay, in intimen Momenten unabgesprochen bestimmte körperliche Dinge zu machen?
- Bedeutet ein Nicken auch ein Ja für dich? Sieht das dein*e Partner*in genauso?