Wohlfühlen unter Männern

Woran denkst du, wenn du an Männerfreundschaften denkst? Welcher Freund, welche Gruppe, welches Gefühl und welche Erinnerungen?
Ich denke an Vieles: An Abende mit “den Jungs”, an lustige Abende, an Sport & Freizeit, an Hobbys, ans Wetteifern und gemütlich Bier trinken. An irgendetwas “Unkompliziertes”, worauf ich mich trotzdem verlassen kann. Eigentlich etwas Schönes.
Es hat lange gedauert bis ich gemerkt habe, dass mich überhaupt etwas an Männerfreundschaften stört (mehr dazu in folgenden Texten). Aber was ist es denn dann, was mich gleichzeitig doch so wohlfühlen lässt unter cis¹ Männern?

Unter cis Männern spüre ich immer den Druck von Männlichkeitsanforderungen²; gerade hier muss ich männlich sein, um von den anderen anerkannt zu werden und wenn ich an den Anforderungen scheitere, erfahre ich Abwertung.
Aber gleichzeitig bieten genau diese Anforderungen auch die Möglichkeit zur Selbstbehauptung; indem ich besonders männlich bin und/oder andere Menschen dabei abwerte. Und das überwiegt der negativen Seite – also der Abwertung die ich erfahren kann – dann wohl doch. Ich kann mir Macht und Überlegenheit durch solche Prozesse aneignen und mich damit doch irgendwie gut und stark fühlen.
Jedoch müssen Männlichkeitsanforderungen nicht immer auf Konkurrenz untereinander hinauslaufen. Ihr Druck und der Versuch sie zu erfüllen kann auch verbindend sein und zur Teamaufgabe werden, z.B. beim Sport oder bei der Suche nach potenziellen Sexualpartnerinnen. Auch wenn es ein schmaler Grat zwischen Rivalität/Konkurrenz & ein bisschen wetteifern/sich gegenseitig unterstützen ist, kann Letzteres auch angenehm sein.
In vielen meiner (eher lockeren) Männerfreundschaften fehlt trotzdem oft emotionale Tiefe. Es ist ein Raum, in dem ich genau weiß, dass es hauptsächlich darum geht, eine gute Zeit zu haben. Genau das macht es so gemütlich. Ich muss mich weder öffnen, noch anderen den Raum geben über Gefühle und Schwächen zu reden, das sei sowieso oft “albern” und anstrengend.
Männergruppen sind zudem Räume, in denen ich selten Kritik für vermeintlich harmlose Witze, Abwertungen und Beleidigungen ernte. Behauptungen wie “Wir nehmen das hier nicht so ernst” oder “Ist ja nur Spaß” bieten mir einen Raum ohne Konsequenzen für Misogynie³, Homo-, Trans- und Queer-Feindlichkeit, Ableismus⁴ oder Fettfeindlichkeit und nicht selten Rassismus.
Und zuletzt frage ich mich, ob ich mich nicht auch wohlfühle mit dem misogynen Gedanken, dass eine Männerfreundschaft eine Exklusivität bietet. Etwas, wo nicht jede*r rein kommt. Etwas ohne “anstrengende” Weiblichkeit. Als sei sie etwas Störendes, das Situationen irgendwie “kompliziert” oder “nicht locker” machen würde.

Es fühlt sich nicht endgültig geklärt an, warum genau ich mich jetzt wohlfühle in Männerfreundschaften. Aber es zeigt sich sehr deutlich, dass eigentlich jeder Mechanismus, der mich wohlfühlen lässt, für viele nicht cis männliche Menschen sehr gewaltvoll sein kann. Sei es meine Freundin, auf die die emotionale Arbeit zurückfällt, die in meinen Männergruppen einfach nicht geleistet wird. Oder die Frauen, mit denen ich übergriffig geflirtet habe, weil ich kein Nein akzeptieren wollte und mein Kumpel mich bestärkt hat, es weiter zu versuchen. Oder Menschen mit Behinderung, schwule Männer oder FLINTA*⁵, die ich als Gruppen und Einzelpersonen abwerte, wenn ich mich wieder mal vor „den Jungs“ beweisen muss.
Es ist ein krasses Privileg, dass diese Männerfreundschaften, die für viele Menschen so gewaltvoll sind, für mich ein Wohlfühlort sein können. Dass ich an einen unkomplizierten Abend mit den meinen Jungs denken kann und nicht daran, was es mit Menschen macht, die wegen “ihrer Weiblichkeit” davon ausgeschlossen werden. Dass ich an Unternehmungen denken kann und nicht an angsteinflößende betrunkene Männergruppen nachts auf der Straße, an übergriffiges Verhalten, Abwertung von FLINTA*, Misogynie, Homofeindlichkeit oder männliche Gewalt zu der sich cis Männer gegenseitig pushen.
Sich hierbei wohl zu fühlen, ist eigentlich absurd.

❓Reflexionsfragen

Insbesondere für die cis Männer & Jungen:

  • An was denkst du beim Wort Männerfreundschaften?
  • Geht es dir in Freundschaften mit cis Männern / Jungen auch so? Was ist ähnlich, was anders?
  • Gibt es noch weitere Aspekte, die dich wohlfühlen lassen? Haben diese Auswirkungen auf nicht cis-männliche Menschen?
  • Denkst du manchmal darüber nach, was Dynamiken in Männergruppen für Menschen bedeuten, die keine cis Männer sind?

ℹ️ Begriffserklärungen

¹Cis-geschlechtlich/cisgeschlechtlich/cis-gender: Bei cis-geschlechtlichen Menschen entspricht die Geschlechtsidentität dem Geschlecht, das ihnen bei ihrer Geburt auf Grundlage der gesellschaftlichen Einordnung ihrer Genitalien zugewiesen wurde.

²Männlichkeitsanforderungen: Gesellschaftliche Bilder und Erwartungen davon was männlich ist und wie Jungen und Männer sich angeblich verhalten oder verhalten sollen: Was sie mögen, wie sie auftreten, was sie können. Rundum: was typische für sie ist. Alle, die als Jungen oder Männer anerkannt werden wollen, müssen sich mit diesen Anforderungen auseinandersetzen.

³Misogynie: Misogynie ist die Bezeichnung für Frauenfeindlichkeit (vor allem von Männern ausgehend) und für Hass auf Weiblichkeit bzw. Femininität. Das drückt sich z.B. dadurch aus, dass Frauen als weniger beruflich professionell gesehen werden oder dass Dinge, die mit Mädchen und Frauen in Verbindung stehen, als peinlich oder schlecht angesehen werden – z.B. Pumpkin Spiced Latte, Menstruation, die Farbe Pink, romantische Filme und Bücher, Emotionen, usw.

⁴Ableismus: Ableismus ist ein am englischen Wort ‘abelism’ angelehnter Begriff, der aus der US-amerikanischen Behindertenbewegung stammt. Er beschreibt die Diskriminierung (und Abwertung) von Menschen mit Behinderung, indem Menschen an bestimmten Fähigkeiten – laufen, sehen, sozial interagieren – gemessen und auf ihre Beeinträchtigung reduziert werden. Ableismus betont die Ungleichbehandlung, Grenzüberschreitungen und stereotypen Zuweisungen die Menschen wegen ihrer Behinderung erfahren. Es gibt eine normative Vorstellung davon, was Menschen leisten oder können müssen. Wer von dieser Norm abweicht, wird als behindert gekennzeichnet und als minderwertig wahrgenommen.

⁵FLINTA*: Frauen, Lesben, Inter Menschen, Trans Menschen, Nicht-binäre Menschen, Agender Menschen. Der * Stern weist auf die Konstruiertheit der Kategorien hin schließt Personen ein, die sich selbst nicht in eine der genannten Kategorien einordnen oder (mit-) gemeint sind. Es ist ein Sammelbegriff für Menschen, die vom Patriarchat unterdrückt werden und/oder patriarchale Gewalt erleben.