Du bist ein cis Mann und hast die Welt verstanden
Wir reden miteinander. Vielleicht zu zweit, vielleicht in einer größeren Runde. Vielleicht reden wir nur kurz, vielleicht länger. Vielleicht kennen wir uns gut, sind befreundet oder in einer Beziehung, vielleicht sind wir nur flüchtige Bekannte. Wir reden jedenfalls ganz normal, bis du etwas sagst, das meine Stimmung ziemlich schnell zum Kippen bringt.
Vielleicht hast du mir gerade ungefragt erklärt, wie ich mein Fahrrad reparieren soll. Vielleicht hältst du mir einen Vortrag über Feminismus oder ein anderes Thema, von dem ich eigentlich viel mehr verstehe als du. Vielleicht ignorierst du meine guten Argumente. Vielleicht gibst du mir unaufgefordert einen Ratschlag.
Früher war ich in solchen Situationen einfach genervt, hatte keine Lust mehr auf das Gespräch oder habe mich schlicht total inkompetent und klein gefühlt. Das waren oft sehr unterbewusste Gefühle, die ich nur schwer greifen und erst recht nicht benennen konnte. Ich habe mir oft den Mund fusselig geredet, weil ich einfach nicht verstanden habe, warum du mich nicht ernst nimmst. Habe weiter und weiter diskutiert, mich weiter probiert zu behaupten und bin dabei mit jedem Wort kleiner geworden, weil du dich profilieren musst.
Inzwischen diskutiere ich nicht mehr, denn ich weiß, dass du es immer besser wissen wirst. Meine feministische Sensibilisierung hilft mir, dein Verhalten in solchen Situationen schnell zu benennen: Mansplaining. Eine Zusammensetzung aus den englischen Wörtern „man“(dt.:Mann) und „explain“(dt.: erklären). Diese Wortneuschaffung beschreibt ein uraltes Phänomen: die ungefragte und herablassende Erklärung von cis Männern, die davon ausgehen, mehr über den Gesprächsgegenstand zu wissen, als die FLINTA*-Gesprächspartner*in.
Dass ich inzwischen um dieses Phänomen weiß, hilft mir zu verstehen, dass mein Unbehagen nicht an meiner Inkompetenz liegt. Das zu verstehen zeigt mir aber auch die bittere Wahrheit des Patriarchats: uns FLINTA* werden jeden Tag zu Unrecht Fähigkeiten und Expertise abgesprochen.
Dein Mansplaining erinnert mich an meine soziale Rolle, ich werde daran erinnert, dass ich immer klüger, lauter und bestimmer sein muss als du, um ernst genommen zu werden. Dass ich mich immer ein wenig besser auskennen muss, um professionell zu wirken. Und dass das so bleiben wird, bis wir das Patriarchat endlich abgeschafft haben. Diese Gedanken bringen Wut und Frust mit sich.
Ich kann mich in solchen Momenten entscheiden, dich auf dein Verhalten anzusprechen und die nächste Diskussion loszutreten oder einfach zu ignorieren, dass du mir etwas erklärst, wovon ich ganz sicher mehr Ahnung habe als du, und das Thema zu wechseln.
Meistens kann ich diese Situationen einfach übergehen, und das ist auch gut so. Manchmal aber trage ich diese Gefühle von Wut und Frust noch Tage in mir herum.
Ich will, dass du verstehst, was deine Worte und dein Verhalten in mir auslösen. Ich will, dass du verstehst, dass du mich verletzt, auch wenn du es nicht wolltest. Ich will, dass du verstehst, dass du mit deinen Worten dieses scheiß patriarchale System am Laufen hältst.
Hör auf, dir einzureden, dass du FLINTA* doch genauso ernst nimmst wie cis Männer. Wir müssen reflektieren, warum wir wem Kompetenzen und Können zusprechen. Wem wir etwas zutrauen, und wem nicht, das entscheiden wir oft nicht bewusst. Unsere Wahrnehumg beruht auf patriarchalen Vorstellungen, die sich über Jahrhunderte in unserer Gesellschaft etabliert haben, die sich in unserer Sozialisierung festigen und damit die Grundlage unseres Denkens bilden. Kompetenzzuschreibungen müssen wir deshalb aktiv reflektieren und hinterfragen, weil wir so an sie gewöhnt sind, dass wir sie oft schlicht nicht mehr wahrnehmen. Dabei reicht es nicht, sich nur den patriarchalen Strukturen zu widmen. Wir müssen intersektional denken. Fragt euch, warum ihr z.Bsp. einer einer migrantisierten FLINTA* weniger zutraut, als einem weißen nicht-behinderten cis Mann.
Und um den Bogen zurück zur kritischen Männlichkeit zu schlagen: Mansplaining fußt nicht nur auf der Abwertung der Fähigkeiten von FLINTA*. Cis Männer mansplainen, weil es ihnen beigebracht wurde, sich immer wieder zu profilieren. Weil es gesellschaftliche Männlichkeitsanforderungen sind, klug, gebildet, dominant, handwerklich begabt und redegewandt zu sein.
Wenn dir daran gelegen ist, die Machtverhältnisse aufzulösen, dann musst du dich diesen Anforderungen und deines Verhaltens bewusst werden, dich selbst in Frage stellen. Das wird hart. Und damit ist es noch nicht getan. Es geht darum, aktiv in Gesprächen zurücktreten, uns FLINTA* den Raum zu lassen, der uns zusteht und einfach mal zuzuhören. Das wird noch härter. Denn schließlich hast du dein Redeverhalten von klein auf trainiert, um als “richtiger Mann” wahrgenommen zu werden. Und wahrscheinlich hat das auch sehr gut funktioniert.
Doch wenn dir die Zerstörung des Patriarchats eine ernste Angelegenheit ist, dann wirst du einen Teil deiner Macht abgeben, und aufhören müssen, mir ständig die Welt zu erklären.
Anmerkung: Dieser Text wurde von einer weißen, nicht-behinderten cis Frau geschrieben. Wenn ich über Kompetenzen schreibe, geht es viel um Erfahrungen im akademischen und im politisch aktivistischen Kontext, aber auch um vieles was mit handwerklichen und technischen Fertigkeiten zutun hat.
Schickt euer Feedback weiterhin gerne an kritischer_adventskalender@riseup.net.
❓ Reflexionsfragen:
- Erinnere dich an mehrere Situationen, in denen du jeweils cis Männern oder FLINTA* etwas erklärt hast. Welches Vorwissen hast du von den Personen vorausgesetzt? Hast du die Personen vorher gefragt, ob sie es von dir erklärt bekommen möchten?
- Hast du einer Person schonmal was erklärt oder etwas gesagt, was du ihr nicht getan hättest, wenn keine anderen Leute dabei gewesen wären?
- Wenn du dich in einer Gesprächsrunde meldest, denkst du dann vorher einen Moment darüber nach, ob es relevant ist, dass alle Anwesenden das, was du sagen willst, hören?
- Hast du schonmal darüber nachgedacht, wie die Redeanteile in deiner Gruppe verteilt sind? Welche 3 Personen sind diejenigen, deren Wortbeiträge du im Schnitt am längsten einschätzen würdest? Zu welchen Themen kommen cis Männer und zu welchen Themen kommen FLINTA* tendenziell zu Wort?
- Wurde dir schonmal vorgeworfen, dass du eine FLINTA* mansplaint hast? Hast du den Vorwurf abgestritten? Gab es im Anschluss Situationen, in denen du dich von der Person zu Unrecht distanzierter behandelt oder ignoriert gefühlt hast?
- Glaubst du, FLINTA* können sich den selben Raum zum Reden oder Handeln nehmen wie cis Männer?
- Findest du es unfair gegenüber cis Männern, wenn in Gesprächsrunden die Redezeit von cis Männern auf maximal die Hälfte beschränkt ist oder die Hälfte der Plätze von wichtigen Positionen FLINTA-quotiert sind? Glaubst du, dass die Regelungen unfair sind, weil im Durchschnitt – nicht in einer individuellen Situation – cis Männer kompetentere Inputs geben oder Arbeit leisten können und diese Regelungen sie beschränken würden?